Ulla-Britta Vollhardt. Geschichtspolitik im Freistaat Bayern. Das Haus der Bayerischen Geschichte: Idee--Debatte--Institutionalisierung. MÖ¼nchen: Utz-Verlag, 2003. 222 S. EUR 14.80 (broschiert), ISBN 978-3-8316-0235-3.
Reviewed by Petra Wingen (Aachen)
Published on H-Museum (March, 2004)
Was lange währt, wird endlich gut. So oder ähnlich hätte die Monographie der Historikerin Ulla-Britta Vollhardt über das Haus der Bayerischen Geschichte angesichts der langen Entstehungsgeschichte der Einrichtung auch überschrieben sein können.
In der im Auftrag des "Freundeskreises Haus der Bayerischen Geschichte e.V." erarbeiteten und im April 2003 als Heft 5 in der von Hans-Michael Körner herausgegebenen Reihe "Münchner Geschichtsdidaktisches Kolloquium" erschienenen Studie zeichnet die Autorin[1] die "lange und wechselvolle Geschichte der Konstituierung des ,Hauses der Bayerischen Geschichte'" (S. 13) von seinen Anfängen Mitte der 1950er Jahre bis zu dessen Institutionalisierung 1978/83 nach. Die Gliederung folgt dabei chronologisch den Phasen der Planungen bzw. dem jeweiligen Diskussionsstand.
Die Idee, ein Museum bzw. ein Geschichtshaus für Bayern zu errichten, entwickelte sich im Rahmen der in der Nachkriegszeit geführten Debatte um die Nutzung eines 1944 weitgehend zerstörten Gebäudes an der Ostseite des Hofgartens im Herzen Münchens, das unter anderem das Bayerische Armeemuseum beherbergt hatte. Der monumentale Mitteltrakt mit krönender Kuppel avancierte zum Auslöser der Debatte, die schliesslich erst Anfang der 1990er Jahre mit der Einbindung der Ruine in den Neubau der Bayerischen Staatskanzlei und der Festlegung Augsburgs als Sitz des Hauses ihr Ende fand. Die Diskussionen um die Nutzung des alten Armeemuseumsgeländes ziehen sich wie ein roter Faden durch die Entstehungsgeschichte des "Hauses der Bayerischen Geschichte" und sind eng mit ihr verknüpft. Das kommt insbesondere im heutigen Logo des Hauses zum Ausdruck, das den Umriss des Kuppelbaus zeigt.
Für den originalgetreuen Wiederaufbau des alten Bayerischen Armeemuseums und seiner Sammlung machte sich seit Mitte der 1950er Jahre eine private Initiative von Kriegsveteranen stark, die es sich--gerade im Zuge der Diskussionen um die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik--zur Aufgabe gemacht hatte, die deutsche Militärtradition auf diese Weise zu rehabilitieren. Dem Projekt wurde vor dem Hintergrund des Kalten Krieges über Bayern hinausgehende Bedeutung für die Bundesrepublik beigemessen, es wurde gar als "westdeutsche Antwort" (S. 23) auf das "Museum für Deutsche Geschichte" beschworen, das 1952 in Ostberlin etabliert worden war. In dem Versuch, prominente und einflussreiche Unterstützung für das Vorhaben zu gewinnen, wandten sie sich 1958 an den damaligen Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU), der sich weitestgehend für das Projekt aussprach, das er dann später als bayerischer Ministerpräsident Ende der 1970er Jahre-- freilich mit anderen Zielsetzungen und in anderer Form--förderte und zu dessen Realisierung er massgeblich beitrug.
Dennoch waren die bayerischen Animositäten gegenüber einem "preussisch-deutschen militärgeschichtlichen Museum" (S. 29) in der Landeshauptstadt zu gross als dass es hätte durchgesetzt werden können. Im März 1961 wurde das Projekt schliesslich auf die parlamentarische Ebene gehoben: Mitglieder der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag stellten den Antrag, "im Zuge des Wiederaufbaus [.] des ehemaligen Armeemuseums in München ein ,Haus der bayerischen Geschichte'" zu errichten (S. 11). Damit war ein Name geboren, der später sowohl in Bonn als auch in Stuttgart kopiert worden ist,[2] und der die inhaltliche Wende vom Armee- und Militärmuseum hin zu einer "'Stätte umfassender geschichtlicher Selbstdokumentation des bayerischen Staates'" (S. 11) zum Ausdruck brachte.
Zu engagierten Verfechtern des Hauses avancierten im 1962 neu gegründeten "Kuratorium für das Haus der bayerischen Geschichte", dem späteren Freundeskreis, neben den Veteranen einflussreiche Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft wie z.B. die "graue Eminenz" (S. 43) der bayerischen Landesgeschichte, Max Spindler. Zur Erstellung eines umfassenden Konzepts wurde auf Empfehlung Spindlers der Historiker Hubert Glaser gewonnen. Glaser entwarf ein Konzept, das unter Verzicht auf Monumentalität und Pathos das "politisch-pädagogische Grundanliegen des Hauses" (S. 78) transportieren sollte. In Abgrenzung zur althergebrachten Erbauungsanstalt "Museum", in der der Fundus massgeblich die Ausstellungsgestaltung bestimmte, sollte nun eine "dokumentarische Schau", der eine Idee, eine übergreifende Aussage zugrunde liegt, in dem neuen "Haus" gezeigt werden. Die Militärhistorie stand hier nicht mehr im Mittelpunkt. Moderne Architektur, eine flexible Innengestaltung und eine multimediale Präsentationsweise sollten dazu beitragen, den Charakter und das Image verstaubter Musentempel abzulegen. Dazu gehörte ebenso, dass für den Museumsbau auch Film-, Vortags- und Tagungsräume sowie ein Restaurant eingeplant wurden.[3] Glasers Konzept wurde 1965 schliesslich in Form einer Werbebroschüre von der Staatskanzlei veröffentlicht. Doch letztlich half auch das nicht: Eine förmliche Verankerung des Hauses unterblieb.
Das änderte sich erst einige konkurrierende Konzepte und viele Auseinandersetzungen innerhalb des Freundeskreises, der Staatskanzlei und des Kultusministeriums später. Durch die unter der Leitung Glasers erarbeitete und 1976 bei München gezeigte Ausstellung "Kurfürst Max-Emanuel--Bayern und Europa um 1700", aber auch durch das Mitte der 1970er Jahre allgemein wieder erwachende Interesse an Geschichte, hatte das Projekt "Haus der Bayerischen Geschichte" einen entscheidenden Anstoss erhalten. Unter diesem Namen wurde es schliesslich am 1.10.1978 per Kabinettsbeschluss offiziell gegründet.
Ende 1978 wurde Franz Josef Strauß bayerischer Ministerpräsident. Er wollte das Geschichtshaus wie auch die Staatskanzlei auf dem Armeemuseumsgelände ansiedeln und wusste dies auch durchzusetzen. Ein entsprechender Kabinettsbeschluss wurde1980 gefasst. Strauß wertete das Haus als öffentlichkeitswirksamstes Instrument zur Pflege und Demonstration bayerischen Staatsbewusstseins. Diese "Symbiose von politischer und historischer Staatsrepräsentation" (S. 141) und ihre Unterbringung im wiederaufzubauenden ehemaligen Armeemuseum führte wie schon diverse Male zuvor zu öffentlichen Diskussionen über die Form bayerischer Selbstdarstellung. Glaser appellierte, die Diskussion um das Haus von dem möglichen Standort Armeemuseumsgelände abzukoppeln. Ausserdem müsse es endlich aus dem Zustand eines "'fliegende[n] Ausstellungsbüro[s]'" (S. 143) befreit werden. Nachdem er nach der Umsetzung der Wittelsbacher-Ausstellung 1981 von der nebenamtlichen Leitung des Hauses zurückgetreten war, machte er in einem Memorandum an Strauß deutlich, dass "'die erforderliche Weichenstellung nur vom Bayerischen Ministerpräsidenten kommen kann'" (S. 147). Dieser verlagerte zum 1.1.1983 das Haus aus dem Kompetenzbereich des Kultusministeriums in die Zuständigkeit der Staatskanzlei.
Neuer Leiter des "Hauses der Bayerischen Geschichte" wurde--auch hier auf dem Wege des Kabinettsbeschlusses--der Kunsthistoriker und Soziologe Claus Grimm. "Seit dieser Zeit erst", konstatiert Vollhardt, "lässt sich von einer geordneten [.] Einrichtung mit hauptamtlichem Leiter und fest angestellten [...] Mitarbeitern [.] sprechen [.]. Erst Anfang der 1980er Jahre war der politische Wille innerhalb der Staatsregierung, eine solche Institution wirklich und auf Dauer arbeitsfähig zu machen, gross genug, um die herrschenden Widerstände gegen das Projekt zu überwinden. Und nur die Angliederung an die Staatskanzlei [.] garantierte schliesslich [..] die Selbstbehauptung des Hauses gegenüber den übrigen kulturellen Einrichtungen des Staates" (S. 151), die um ihre Bestände wie um ihre finanzielle Ausstattung fürchteten.
Strauß konnte seine Pläne nicht mehr durchsetzen. Er starb im Oktober 1988. Sein Nachfolger Max Streibl (CSU) nahm von dem umstrittenen Wiederaufbau Abstand und entschied sich für einen kleineren Neubau, in dem das Geschichtshaus allerdings keinen Platz mehr fand. Die Idee einer ständigen Ausstellung wurde fallengelassen. Im Zuge der beschlossenen bayerischen Behördendezentralisierung wurde das "Haus der Bayerischen Geschichte" nach Augsburg verlegt, wo es seit 1993 seinen Sitz hat.[4] Seine Aufgabe ist die Förderung und Pflege des Geschichtsbewusstseins in ganz Bayern, die vermittels der Organisation und Durchführung von Wechselausstellungen, der Veröffentlichung von Arbeiten zur bayerischen Kultur und Geschichte, der Organisation von Tagungen, der Präsentation von Filmdokumentationen, der Anlage eines Film- und Bildarchivs sowie diverser geschichtsdidaktischer Initiativen wahrgenommen wird.[5] Selbst diese--im Vergleich zu den 161 Seiten des Buches--kurze Darstellung der Geschichte des "Hauses der Bayerischen Geschichte" zeigt, wie viele Wendungen das Projekt nahm: Sowohl die Akteure als auch die Konzepte wechselten, die politischen Veränderungen taten das ihre. Die Idee, in München ein "Haus der Bayerischen Geschichte" zu errichten, verwandelte sich in den Mühlen der sich mit den Jahren ändernden Interessen von Politik, Verwaltung, Freundeskreis und Wissenschaft von einem Armeemuseum mit ständiger Ausstellung in der bayerischen Hauptstadt hin zu einem Ausstellungsbüro, das in ganz Bayern--und bisweilen auch darüber hinaus--Wechselausstellungen präsentiert.
Vollhardt liefert detailliert und quellennah einen nahezu chronikalischen Abriss der Entwicklungen im Zusammenhang mit der Entstehung des "Hauses der Bayerischen Geschichte". Sie hat eine Institutionengeschichte verfasst. Dafür ist ihr zu danken, zumal die Geschichte einzelner historischer Museen und Ausstellungen, die seit Bestehen der Bundesrepublik gegründet wurden, bisher kaum aufgearbeitet ist. Bedauerlicherweise versäumt Vollhardt es allerdings, übergreifende Fragen an ihr Sujet zu stellen, Thesen zu entwickeln sowie abschliessend Ergebnisse zu konstatieren. So hätten anhand der wechselvollen Geschichte des Hauses beispielsweise weitergehende Aussagen zu Kontinuität und Wandel des bayerischen Selbstverständnisses gemacht werden können. Und dies--da das Haus bisweilen als Statement der bayerischen Staatsregierung gegenüber Bonn herhalten musste--gerade auch in Abgrenzung zur Bundesrepublik. Dazu hätte es freilich einer grösseren Einbettung in bayerische bzw. bundesdeutsche Entwicklungen bedurft, die Vollhardt nur insoweit leistet als es für das Verständnis ihrer Ausführungen unabdingbar ist.
Aus museumsgeschichtlicher und museumswissenschaftlicher Sicht wäre eine Einordnung des Hauses in und seine Bedeutung für die Geschichte (kultur-)historischer Museen und Ausstellungen in der Bundesrepublik wünschenswert gewesen. Gerade das Konzept Glasers kann vor dem Hintergrund der Zeit als innovativ eingeschätzt werden [vgl. Anm. 3]. Zudem, so Gottfried Korff, deutete sich "in der bayerischen Initiative [..] eine Entwicklung an, die später in aller Deutlichkeit die Physiognomie der bundesrepublikanischen Grossausstellungen prägen sollte: Energisch drängt eine historisch-politische Deutungs- und Präsentationsabsicht in den Vordergrund [.]."[6]
Das methodische Vorgehen wird ebenso wenig reflektiert wie die Quellen- und Literaturgrundlage. Das Quellen- und Literaturverzeichnis gibt darüber Auskunft, dass u.a. die Akten des Kultusministeriums, des Freundeskreises, der Staatskanzlei sowie der Nachlass Max Spindlers eingesehen wurden. Darüber hinaus wurden diverse regionale und überregionale Zeitungen und Zeitschriften sowie die "Verhandlungen des Bayerischen Landtags" und Senats ausgewertet sowie Zeitzeugeninterviews geführt (u.a. mit Hubert Glaser und Claus Grimm). Die Literatur bezieht sich grösstenteils auf bayerische Politik und Geschichte. Bis auf wenige Ausnahmen wurden keine Untersuchungen zu Entwicklung und Geschichte des Museumswesens hinzugezogen. Als positiv ist der Abdruck von 14 Abbildungen (Fotos und Karikaturen) zu vermerken, auf die allerdings im Text nicht eingegangen wird.
Zu guter letzt noch ein paar Worte zum Titel "Geschichtspolitik im Freistaat Bayern": Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er eine Schöpfung des Verlages ist, da er im Text selber weder erläutert noch--was naheliegend wäre--beispielsweise in Anlehnung an Edgar Wolfrum definiert wird, der mit seiner 1999 veröffentlichten Habilitationsschrift den Begriff "Geschichtspolitik" in der geschichtswissenschaftlichen Diskussion etablierte.[7] Zudem erscheint es etwas unglücklich, dass der Titel auf dem äusseren Buchumschlag nicht mit dem Titel im Innern übereinstimmt.[8]
Unter dem Strich bleibt ein gemischtes Fazit: Vollhardt präsentiert akribisch zusammengetragene Informationen, deren Bündelung allerdings dem Leser überlassen bleibt.
Anmerkungen
[1]. Vollhardt hat sich bereits in einem Aufsatz aus dem Jahre 2001 mit der "Staatliche[n, d. Verf.] Heimatpolitik in Bayern nach 1945" auseinandergesetzt: Ulla-Britta Vollhardt: Zwischen Staatstradition und Regionalbewusstsein. Staatliche Heimatpolitik in Bayern nach 1945, in: Habbo Knoch (Hg.), Das Erbe der Provinz, Göttingen 2001 (Veröffentlichungen des Arbeitskreises Geschichte des Landes Niedersachsen (nach 1945); 18), S. 117-142.
[2]. Vgl. Gottfried Korff: Zielpunkt: Neue Prächtigkeit? Notizen zur Geschichte kulturhistorischer Ausstellungen in der "alten" Bundesrepublik, in: Landschaftsverband Rheinland (Hg.): Vom Elfenbeinturm zur Fussgängerzone. Drei Jahrzehnte deutsche Museumsentwicklung. Versuch einer Bilanz und Standortbestimmung (Schriften des Rheinischen Museumsamtes Nr.61), S. 53-84, hier S. 60.
[3]. Glasers Vorstellungen von der Ausgestaltung eines "Hauses der bayerischen Geschichte" waren innovativ. Einige der beschriebenen Ideen finden sich in dem 1972 eröffneten Historischen Museum in Frankfurt/M. wieder. Darüber hinaus sieht Korff in der Schrift "ein präsentationstheoretisch hochkompetentes Grundsatzpapier zur Konzeption historischer Ausstellungen" (Anm. 2, S. 61), in dem bereits Mitte der 60er Jahre die in den 80er Jahren diskutierte Problematik des Verhältnisses von Original, didaktischer Information und Inszenierung reflektiert wird--ganz im Gegensatz zu zeitgenössischen Schriften.
[4]. Der Grund für die Umsiedlung, so wurde weithin vermutet, sei der Wunsch Streibls gewesen, sich des "Straußsche[n, d. Verf.] Lieblingskind[es]" (S. 160) zu entledigen.
[5]. Vgl. Haus der Bayerischen Geschichte <http://www.hdbg.de/>.
[6]. Siehe hierzu Anm. 2.
[7]. Edgar Wolfrum: Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg zur bundesrepublikanischen Erinnerung 1948-1990, Darmstadt 1999.
[8]. Auf dem Buchumschlag wird der Titel mit "Geschichtspolitik in Bayern. Das Haus der Bayerischen Geschichte zwischen Privatinitiative und Institutionalisierung" angegeben.
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Citation:
Petra Wingen. Review of Vollhardt, Ulla-Britta, Geschichtspolitik im Freistaat Bayern. Das Haus der Bayerischen Geschichte: Idee--Debatte--Institutionalisierung.
H-Museum, H-Net Reviews.
March, 2004.
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