Thomas Winkelbauer. FÖ¼rst und FÖ¼rstendiener. Gundaker von Liechtenstein. Ein Ö¶sterreichischer Aristokrat des konfessionellen Zeitalters. Wien und MÖ¼nchen: R. Oldenbourg Verlag, 1999. 548 pp. DM 134.00 (cloth), ISBN 978-3-486-64837-9.
Reviewed by Eric-Oliver Mader (Historisches Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität München)
Published on HABSBURG (December, 1999)
Mikrokosmos eines adeligen Konvertiten
Gundaker von Liechtenstein (1580-1658) war der juengste von drei Soehnen Hartmanns II. (1544-1585), der aus der Feldsberger Linie des etwa seit dem 11. Jahrhundert nachweisbaren Hauses Liechtenstein stammte. Wie der Vater und seine beiden aelteren Brueder, Karl (1569-1627) und Maximilian (1578-1643), stand Gundaker zugleich in den Diensten des Kaisers und war Herr ueber eigene Gueter in Niederoesterreich und Maehren. War der Vater Lutheraner und erzog seine Kinder in diesem Glauben, so traten seine drei Soehne nacheinander um 1600 zum Katholizismus ueber und vermochten nicht zuletzt deshalb, ihren Einfluss am Wiener Hof gegenueber dem des Vaters noch zu vermehren. Karl brachte es bis zum Statthalter und Vizekoenig von Boehmen, Maximilian machte Karriere als Militaer und avancierte zum kaiserlichen Oberstallmeister, und auch Gundaker versah hohe Aemter am Wiener Hof: Er war zeitweilig Praesident der Hofkammer, Gesandter, Geheimer Rat und Obersthofmeister. Da den drei Bruedern ueberdies eine deutliche Vergroesserung des eigenen in Niederoesterreich, Boehmen und Maehren gelegenen Herrschaftsgebietes sowie die Erhebung in den erblichen Fuerstenstand gelang, koennen sie als typische Vertreter des nach 1600 neu entstandenen Hochadels gelten. Sie gehoeren damit einer Gruppe adeliger Aufsteiger an, zu der etwa auch die Lobkowitz, Eggenberg und Schwarzenberg zu rechnen sind.
In diesem Kontext ist die zu besprechende Wiener Habilitationsschrift ueber Gundaker von Liechtenstein angesiedelt. Obschon seine Person im Mittelpunkt von Thomas Winkelbauers Studie steht, handelt es sich nicht um eine Biographie im herkoemmlichen Sinne. Dagegen geht es dem Autor vor allem darum, einen Beitrag zur bisher vernachlaessigten Geschichte adeliger Fuehrungsschichten in der Habsburgermonarchie waehrend der ersten Haelfte des 17. Jahrhunderts zu leisten. Da die Quellenlage zu Gundaker von Liechtenstein besonders gut ist, entschied sich Winkelbauer, diesen in den Mittelpunkt seiner Studie zu stellen und Typik und Individualitaet eines adeligen Aufsteigers, Konvertiten, Dieners des Kaisers und Herrn ueber eigene Gueter herauszuarbeiten. Dies schlaegt sich in der Gliederung der Arbeit nieder. Sie entspricht nicht dem fuer Biographien typischen chronologischen Prinzip und ist auch kein homogen komponiertes Werk, sondern eher eine Aufsatzsammlung, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven seinem Gegenstand immer wieder von Neuem naehert. Insgesamt 17 systematisch angelegte Kapitel dienen dazu, einerseits den "komplexen geistigen und sozialen (Mikro)-Kosmos" (S. 15) Gundakers zu rekonstruieren und diesen andererseits in einem breiten sozial- und geistesgeschichtlichen Kontext zu verorten. Dabei geht die Arbeit nicht nur aufgrund der breiten Quellenbasis, die sich der Autor vor allem durch Archivstudien in Wien, Vaduz und Bruenn (Maehren) verschafft hat, sondern auch deshalb weit ueber die bisherige Kenntnis hinaus, weil Winkelbauer tschechische Forschungsleistungen in seine Habilitationsschrift zu integrieren vermag.
Die sich ueber 548 eng bedruckte Seiten erstreckende Studie naehert sich dem Gegenstand zunaechst von drei unterschiedlichen Ebenen, die als ihr aeusserer Rahmen betrachtet werden koennen. Eine quantifizierende Analyse des Strukturwandels des Adels in Boehmen, Maehren und Niederoesterreich im 16. und 17. Jahrhundert bietet Einblick in die Entstehungsbedingungen der neuen gesamtoesterreichischen Aristokratie, wobei besonderes Gewicht auf den aeusseren Bedingungen des Aufstieges der Liechtensteiner liegt. Das zweite Kapitel waehlt eine diachrone Perspektive, konzentriert sich auf die Geschichte des Hauses seit dem Hochmittelalter und skizziert die Vita der unmittelbaren Verwandten Gundakers -- seiner Eltern und Brueder. Die dritte Ebene der Annaeherung stellt Gundakers Konversion heraus und verhandelt sie im Kontext von mehr als 20 Adelskonversionen in den boehmischen und oesterreichischen Laendern um 1600.
Alle drei einfuehrenden Kapitel zusammen machen rund ein Viertel des Umfangs der Untersuchung aus, und man fragt sich, ob hier nicht etwas haette gerafft werden koennen. Das waere gerade deshalb sinnvoll gewesen, da die Ueberlaenge einerseits daraus resultiert, dass Winkelbauer eigene bereits veroeffentlichte Arbeiten mit nur geringfuegigen Veraenderungen noch einmal abdruckt. Andererseits hat dies seine Ursache darin, dass der Autor versucht, die nur schwer rekonstruierbaren persoenlichen Motive fuer eine Konversion herauszuarbeiten, was rund 70 Seiten beansprucht. Zwar zeigt das entsprechende Kapitel die sozialhistorische Brisanz der Thematik im gegenreformatorischen Habsburg, doch koennen die Analysekategorien das Phaenomen nur teilweise erklaeren. Winkelbauers Aussage, dass es selbst bei den besser dokumentierten Faellen meist kaum moeglich sei, die inneren und aeusseren Gruende fuer Konversionen sauber zu unterscheiden (S. 85), trifft den Kern des Problems. Wenn die Zuordnung einzelner Konvertiten dennoch entlang dieser beiden Typen, zu denen ueberdies noch Subkategorien gebildet werden, erfolgt, so bleibt der Leser mit dem Problem zurueck, welchen Erkenntnisgewinn er aus der Analyse zu ziehen hat.
Waehrend die einfuehrenden Kapitel also nicht vollstaendig ueberzeugen koennen, bietet der uebrige Teil der Arbeit einen gelungenen Einblick in die hochadelige Lebenswelt Gundakers. Die auch hier oft umstaendliche Annaeherung an den Gegenstand wird durch die inhaltliche Qualtitaet der Ausfuehrungen deutlich aufgewogen. Besonders hervorzuheben scheint mir, dass es dem Autor gelungen ist, das geistige Profil des Liechtensteiners herauszuarbeiten. Zwar kann beim derzeitigen Stand unserer Kenntnisse eine umfassende Evaluation von Gundakers Anschauungen im Kontext der im Hof-bzw.Staatsdienst stehenden Adeligen nicht geleistet werden, doch schafft die Untersuchung dafuer eine erste Grundlage. Anhand seiner fuer den kaiserlichen Hof verfassten Gutachten und Fuerstenspiegel kann Winkelbauer zeigen, dass die um 1600 in der theoretischen Debatte um die beste Art zu regieren entwickelten Ansaetze auch in der praktischen Politik ihren Niederschlag fanden. So forderte Gundaker die Errichtung einer Ritterakademie und engagierte sich fuer eine Reform der Verwaltung. Klar erkannte er darueber hinaus die Notwendigkeit einer aktiven staatlichen Wirtschaftspolitik, die als Mittel dienen sollte, um ueber die Steigerung der allgemeinen Wohlfahrt zu einer Erhoehung der Staatseinnahmen zu kommen. Das hier zu Tage tretende Gedankengut verweist auf eine Rezeption der Arbeiten Giovanni Boteros und anderer fuehrender Staatstheoretiker der Zeit. Zugleich wird damit die von der Forschung bereits seit laengerem vorgetragene These bestaetigt, dass in die Debatte um die Finanz- und Wirtschaftspolitik auch innerhalb des Heiligen Roemischen Reiches fruehmerkantilistisches Gedankengut eingeflossen ist.
Vor allem die beiden Fuerstenspiegel, in denen die politischen Anschauungen noch einmal zusammengefasst werden, ermoeglichen das Denken des Liechtensteiners im Umfeld eines antimachiavellistisch und gegenreformatorisch gefaerbten Politikdiskurses zu verorten. Die hier vorgetragenen Auffassungen erinnern in weiten Teilen an die Staatslehre des wohl bedeutendsten Vertreters katholischer Politiktheorie im fruehen 17. Jahrhundert, des Jesuiten und Beichtvaters Maximilian I. von Bayern, Adam Contzen. Auf die konfessionelle Praegung verweisen auch das religioese Weltbild und das Froemmigkeitsideal Gundakers. Offensichtlich wandelte er sich mit seiner Konversion im Jahre 1603 zu einem besonders eifrigen Vertreter des Katholizismus. Deutlich wird das nicht nur daran, dass er die Schriften der fuehrenden Kontroverstheologen der Zeit gelesen hat und besonders wunderglaeubig war. Zugleich agitierte er in seinem Umfeld fuer den Uebertritt zum Katholizismus, betaetigte sich als Stifter zugunsten von Kirchen und Kloestern und wirkte fuer die Durchsetzung des rechten Glaubens in seinem eigenen Herrschaftsbereich.
Sieht man von der etwas zu umfaenglichen Darbietung und dem nur teilweise ueberzeugenden einfuehrenden Teil einmal ab, so steht doch die Leistung Winkelbauers im Vordergrund, erstmals einen umfassenden Einblick in die Lebenswelt Gundakers geboten zu haben. Die Studie stellt nicht nur einen gewichtigen Beitrag zur Geschichte adeliger Fuehrungsschichten dar, sie bereichert auch unsere Kenntnis der inneren Geschichte der Habsburgermonarchie im 17. Jahrhundert. Zugleich gibt sie kuenftiger Forschung die Frage auf, zu erkunden, inwiefern der Fall Gundaker von Liechtenstein als repraesentativ fuer das Denken und Handeln seiner Standesgenossen gelten kann.
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Eric-Oliver Mader. Review of Winkelbauer, Thomas, FÖ¼rst und FÖ¼rstendiener. Gundaker von Liechtenstein. Ein Ö¶sterreichischer Aristokrat des konfessionellen Zeitalters.
HABSBURG, H-Net Reviews.
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