Mark Cornwall. The Undermining of Austria-Hungary: The Battle for Hearts and Minds. London and New York: Palgrave Macmillan, 2000. xvi + 485 pp. $69.95 (cloth), ISBN 978-0-312-23151-4.
Reviewed by Guenther Kronenbitter (Universität Augsburg)
Published on HABSBURG (October, 2001)
Kriegspropaganda an der Südfront
Rezensiert fuer HABSBURG von Guenther Kronenbitter <guenther.kronenbitter@phil.uni-augsburg.de>, Universitaet Augsburg
Mark Cornwall ist ein Kenner der Geschichte Oesterreich-Ungarns vor und waehrend des Ersten Weltkrieges.[1] In seinem neuen Buch widmet er sich der Frontpropaganda 1917/18, die vom Habsburgerreich betrieben oder deren Zielscheibe Oesterreich-Ungarn wurde. Cornwall, der an der University of Dundee lehrt, hat sich dabei nicht zuletzt das Ziel gesetzt, der in Grossbritannien vorherrschenden Meinung entgegenzutreten, dass die Briten die "battle of hearts and minds" der Entente gegen die Habsburgermonarchie am wirksamsten gefuehrt haetten. Sehr ueberzeugend kann er darlegen, dass der englische Beitrag nach 1918 von Siegern und Besiegten gleichermassen ueberschaetzt worden ist. Cornwall zeigt nun, dass die Rolle der Italiener bei der Bekaempfung Osterreich-Ungarns weitaus wichtiger war, als in der Forschungsliteratur, insbesondere britischer Provenienz, bislang angenommen.
Der Hauptgegenstand von Cornwalls Untersuchung sind die Massnahmen entlang der italienischen Front im letzten Kriegsjahr, angefangen mit der oesterreichisch-ungarischen Kampagne gegen Italien im Gefolge der Schlacht von Caporetto. Die k. u. k. Armee baute bei ihrem Versuch, die Kampfmoral der italienischen Truppen zu schwaechen, auf den Erfahrungen auf, die 1917 an der Front gegen Russland gewonnen worden waren und nun ansatzweise gegen serbische, vor allem aber gegen italienische Truppen nutzbar gemacht werden sollten. Cornwall skizziert daher - nach einem Einfuehrungskapitel, das den irrefuehrenden Titel "A Theory of Front Propaganda" traegt und letztlich einen Ueberblick ueber die Literatur bietet - den Propagandakrieg der Mittelmaechte gegen Russland, bevor er sich der Italienfront zuwendet.
Aus der Entwicklung im Osten 1917 nahm die militaerische Fuehrung Oesterreich-Ungarns die Ueberzeugung mit, dass Propaganda eine sehr wirksame Waffe sein konnte. Ausserdem festigte sich an der Ostfront die Vorliebe fuer den Einsatz von speziell geschulten Patrouillen, denen es gelang, im Streifen zwischen den Frontlinien mit Soldaten der Gegenseite in Kontakt zu kommen. Voraussetzung fuer den Erfolg dieser Form der Propaganda war, dass die Frontlinie ueber einen laengeren Zeitraum statisch blieb und die Kampfhandlungen nicht zu intensiv wurden.
Ermutigt von der Entwicklung im Osten 1917 versuchte die k. u. k. Armee im Anschluss an Caporetto systematisch, den Defaitismus und auch die Friedenssehnsucht unter den italienischen Truppen zu foerdern. Waehrend aber in Russland der Zerfall der politischen Ordnung und der Zusammenbruch der militaerischen Disziplin den Propagandaerfolgen der Mittelmaechte vorangingen, so blieb die italienische Armee doch trotz der Niederlage von Caporetto intakt. Eine wirkliche Destabilisierung Italiens konnten die oesterreichisch-ungarischen Beeinflussungsversuche nicht erreichen, obwohl der Hinweis auf die Kriegslage - Russland ausgeschaltet, der Balkan weitgehend in der Hand der Mittelmaechte, keine Erfolge der Entente an der Westfront, Italiens Heer schwer geschlagen - ein hervorragendes Argument fuer die Spezialisten der k. u. k. Armee darstellte. So begrenzt die Wirkung der oesterreichisch-ungarischen Propaganda auch war, so entschloss sich Italiens Armeefuehrung doch, mit einer koordinierten eigenen Kampagne zu antworten.
Die Offiziere Tullio Marchetti und Cesare Finzi, die den militaerischen Nachrichtendienst der 1. italienischen Armee leiteten, waren bereits damit vorangegangen, neben Spionage auch Propagandamaßnahmen gegen Oesterreich-Ungarn einzusetzen. Sie entdeckten dabei tschechische Soldaten als Zielscheibe von Beeinflussungsaversuchen, die nicht nur auf Kriegsmuedigkeit beim Gegner abgestellt waren, sondern ganz bewusst habsburgfeindliche, nationalistische Stimmungen nutzen und schueren sollten. Im Spaetsommer 1917 bot die Aktion des slowenischen Offiziers Ljudevit Pivko und seiner Mitverschworenen bei Carzano, die in Zusammenarbeit mit Finzi beinahe ein Loch in die Frontlinie der k. u. k. Armee gerissen haette, den Beleg dafuer, dass die Ausnutzung der nationalitaetenpolitischen Lage der Donaumonarchie fuer Italien vielversprechend sein konnte.
Der Einsatz tschechischer und suedslawischer Ueberlaeufer als Werkzeuge italienischer Propaganda war und blieb jedoch immer mit einem brisanten Aspekt der Ententepolitik verknuepft: der Festlegung der Kriegsziele im Hinblick auf Oesterreich-Ungarn. Im Falle der Tschechen bedeutete es kein gravierendes Problem, durch Verwendung tschechischer Soldaten und Kooperation mit Exilpolitikern einer definitiven Regelung der Nachkriegsgrenzen vorzugreifen. Anders stellte sich die Lage im Hinblick auf suedslawische Deserteure und auf den Inhalt einer nationalistisch gefaerbten Botschaft dar, die auf Suedslawen in der k. u. k. Armee gemuenzt war. Die Bestimmungen des Londoner Vertrages, der festhielt, was sich Italien vom Kriegseintritt 1915 erhoffte, waren mit den territorialen Aspirationen der jugoslawischen Exilbewegung auf Dalmatien nicht vereinbar. Innerhalb der militaerischen und politischen Fuehrung Italiens blieb bis zum Kriegsende strittig, ob zur Erhoehung der Durchschlagskraft der eigenen Propaganda und damit zur Unterstuetzung der Kriegfuehrung eine Aufwertung der suedslawischen Organisationen notwendig sei, auch unter Zurueckstellung der im Londoner Vertrag festgeschriebenen Expansionsziele Italiens.
Militaerische Propaganda war daher untrennbar verknuepft mit den Beziehungen zwischen den Ententemaechten und den Vertretern der Nationalitaeten des Habsburgerreichs. Cornwall stellt das Ringen um die Haltung Italiens in seinen wichtigsten Phasen waehrend des letzten Kriegsjahres im Detail dar, und zwar unter dem meist vernachlaessigten Aspekt der Wechselwirkung mit den propagandistischen Anstrengungen der Entente. Es gelingt ihm, anschaulich werden zu lassen, in welchem Mass die Hauptpromotoren der Kampagne gegen Oesterreich-Ungarn zusammenwirkten mit Befuerwortern einer Zerschlagung des Habsburgerreichs und der Kooperation mit der jugoslawischen Bewegung, zu denen beispielsweise Luigi Albertini zaehlte.
Neben der politischen und militaerischen Fuehrung Italiens waren auch die verbuendeten Ententemaechte in die Koordination der Frontpropaganda involviert. Lord Nothcliffes Enemy Propaganda Department in Crewe House trug zur Annaeherung von Jugoslawen und Italienern bei und unterstuetzte die erste grosse italienische Aktion im April 1918. Cornwall beschreibt die britischen Bemuehungen, an denen massgeblich Seton-Watson und vor allem Henry Wickham Steed mitwirkten, und schildert die Entstehung der "Zentralen Interalliierten Propaganda-Kommission" mit Sitz in Padua, bei der britische und franzoesische Vertreter mitarbeiteten. Der Verfasser belegt aber, dass die Kommission von den Italienern dominiert wurde, die allerdings ihrerseits untereinander uneins darueber waren, bis zu welchem Mass den Jugoslawen entgegengekommen werden sollte. Als staerkste Figur der Kommission erscheint bei Cornwall der italienische Verbindungsoffizier Ugo Ojetti.
Dass Propaganda ueberhaupt als wichtiges Element der Kriegfuehrung anerkannt wurde, hatte mit einer Fehlleistung der italienischen Spionage zu tun. Die Frontpropaganda nahm fuer sich in Anspruch, eine oesterreichisch-ungarische Offensive im Fruehjahr 1918 verhindert bzw. verzoegert zu haben. Tatsaechlich aber war zu diesem Zeitpunkt kein Grossangriff der k. u. k. Armee geplant. Der irrige Ansicht, die Verschiebung der Offensive bewirkt zu haben, staerkte das Ansehen der Spezialisten. Nach dem Scheitern der letzten grossen Offensive der k. u. k. Armee in der zweiten Junihaelfte 1918 lag die Initiative im Propagandaduell an der Italienfront endgueltig bei der Entente. Mit grossem Aufwand wurden waehrend der letzten Kriegsmonate die oesterreichisch-ungarischen Truppen mit Schriftmaterial ueberschuettet, das von Patrouillen verteilt, mittels spezieller Geschosshuelsen ueber die feindlichen Linien geschossen oder aus Flugzeugen abgeworfen wurde. Allein schon die Menge des verteilten Materials und vor allem das demonstrative Auskosten der italienischen Luftueberlegenheit hatte eine demoralisierende Wirkung auf den Gegner.
Zielten die Propagandaschriften der Italiener vor allem auf Tschechen und Suedslawen, denen die unterdrueckte Heimat vor Augen gestellt wurde, so gerieten gegen Kriegsende auch Magyaren und schliesslich sogar Deutsche ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Cornwall, der den Grossteil der knapp 500 Manifeste der Padua-Kommission aus den Monaten Mai bis November 1918 ausgewertet hat, stellt die Argumentationsstrategien der Entente im Detail vor.[2] Am Ende, das zeigt der Erfolg der letzten italienischen Grossoffensive Ende Oktober 1918, erfuellte sich die Hoffnung der Entente, Oesterreich-Ungarns Heer auseinanderfallen zu sehen. Inwieweit aber diese Entwicklung auf das Konto der alliierten Propaganda geht, ist eine offene Frage.
Cornwall erliegt nicht der Versuchung, seinem Untersuchungsgegenstand uebergrosses Gewicht beizumessen, er zeigt vielmehr, dass die Zerstoerung der Kampffaehigkeit der k. u. k. Armee durch die gegnerischen Beeinflussungsbestrebungen ein Mythos ist. Katastrophale Versorgungsprobleme und zu schwacher Ersatz an neuen Mannschaften an der Front, vor allem aber militaerische Misserfolge - eigene wie die der Verbuendeten - demoralisierten die oesterreichisch-ungarischen Truppen weit mehr als jeder Einfluesterungsversuch des Feindes. Am wirksamsten war Frontpropaganda dann, wenn solche Belastungen fuer die Kampfmoral des Gegners erkannt, aufgegriffen und damit noch verstaerkt werden konnten. Insofern war gross angelegte, systematische Frontpropaganda zwar ein neues Instrument im Arsenal der kriegsfuehrenden Maechte, blieb aber doch nur ein nachgeordnetes Hilfsmittel.
Den Erfolg der Propaganda selbst zu messen, war fuer die Zeitgenossen schwierig und bleibt auch fuer den Historiker eine heikle Aufgabe. Die Einschaetzung der Offiziere auf beiden Seiten kann nicht unbesehen uebernommen werden. Selbst die Protokolle der Befragungen von Deserteuren geben nicht unbedingt Aufschluss ueber die eigentlichen Motive der Ueberlaeufer. Cornwall behandelt die Quellen denn auch mit der gebotenen Vorsicht und kann letztlich die Frage nach der Wirksamkeit der Propaganda nur indirekt beantworten. Seine skeptische Einschaetzung dieser Wirksamkeit ist dennoch sehr plausibel. Nicht so sehr den Erfolg der Beeinflussungsversuche auf die Truppen selbst haelt der Verfasser fuer interessant, sondern er sieht in der Frontpropaganda und den Debatten, die ueber sie gefuehrt wurden, Indizien einer veraenderten Wahrnehmung von Politik und Gesellschaft durch die Fuehrungseliten.
Auch wenn Cornwall die Defizite der - verspaeteten und zoegerlichen - Propaganda der k. u. k. Armee in den eigenen Reihen fuer die Erhaltung der Habsburgermonarchie betont, so raeumt er schliesslich ein, dass die inneren Probleme und Spannungen Oesterreich-Ungarns eine erfolgreiche Werbung fuer die Habsburgermonarchie ohnehin kaum moeglich gemacht haetten. In der zweiten grossen Mobilisierungswelle, die seit 1916/17 bei den meisten kriegsfuehrenden Maechten einsetzte, um durch Einsatz aller Ressourcen doch noch siegen zu koennen, geriet Oesterreich-Ungarn, so argumentiert Cornwall, ins Hintertreffen, weil der wirksamste Appell, der an die nationalen Gefuehle von Front und Heimat, fuer das Habsburgerreich kontraproduktiv sein musste. In Italien gelang die zweite Mobilisierung der Oeffentlichkeit nach Caporetto, waehrend die ungeloesten nationalitaetenpolitischen Probleme die Donaumonarchie und die k. u. k. Armee zu vielversprechenden Zielen gegnerischer Propaganda machten, als immer neue Opfer von Soldaten und Zivilisten nach neuen Legitimationsgrundlagen der politischen Ordnung rufen liessen.
Cornwall bietet eine eingehende Darstellung der Entwicklung der Propaganda an der Italienfront, ihrer Organisation ebenso wie ihrer Formen. Fuer die Geschichte des Ersten Weltkrieges bildet sein Buch eine wichtige Ergaenzung, nicht zuletzt fuer die intelligence history des Krieges. Die bewusst gewaehlte Beschraenkung auf Frontpropaganda ist sicherlich sinnvoll, um noch genug Raum fuer eine detaillierte Schilderung zu haben. Die Zusammenhaenge mit der Kriegszielpolitik werden dennoch sehr eindruecklich vermittelt, und auch die Wechselwirkung nationalistischer Bewegungen innerhalb der Habsburgermonarchie und den Beinflussungsversuchen der Entente an der Front wird deutlich gemacht. Dem Verfasser kam dabei entscheidend zugute, dass er die meisten Sprachen beherrscht, in denen die Habsburgermonarchie und die Entente ihr Propagandaduell ausfochten. Nur sehr selektiv benutzt hat der Verfasser allerdings italienische Archivbestaende, was angesichts der zentralen Rolle Italiens in der Darstellung ueberrascht. Andererseits liegen beispielsweise aus der Feder von Finzi und Marchetti eine ganze Reihe von gedruckten Quellen vor. Neben allen sonstigen Verdiensten haelt Cornwalls Buch schliesslich auch eine troestliche Erkenntnis bereit: "The weakness of the propaganda campaigns came when their arguments diverged too far from reality" (S. 181).
Anmerkungen:
[1]. Mark Cornwall (ed.), The Last Years of Austria-Hungary: Essays in Political and Military History 1908-1918 (Exeter Studies in History 27, Exeter: Univ. of Exeter Press, 1990; 2. Auflage 2000).
[2]. Aufgelistet werden die Manifeste im Anhang, S. 445-453.
[3]. Vgl. dazu auch: Mark Cornwall, "Morale and Patriotism in the Austro-Hungarian Army, 1914-1918", in: State, Society and Mobilization in Europe during the First World War, ed. by John Horne (Studies in the Social and Cultural History of Modern Warfare 3, Cambridge: Cambridge Univ. Press, 1997), S. 173-191.
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Citation:
Guenther Kronenbitter. Review of Cornwall, Mark, The Undermining of Austria-Hungary: The Battle for Hearts and Minds.
HABSBURG, H-Net Reviews.
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