
Rolf Düsterberg. Hanns Johst: Der Barde der SS: Karrieren eines deutschen Dichters. Paderborn: Ferdinand Schöningh Verlag, 2004. 462 S. + 29 Abb. EUR 39.00 (cloth), ISBN 978-3-506-71729-0.
Reviewed by Sylvia Taschka (Department of History, Wayne State University)
Published on H-German (January, 1970)
Dichtung und Völkermord
Hanns Johst war ein Mann der Schrift, doch er verachtete das Denken. Schon Ende des Jahres 1922, als sein guter Bekannter und Schriftstellerkollege Thomas Mann sich öffentlich zur Weimarer Republik und zur westlichen Demokratie bekannte und damit seine früheren Ansichten revidierte, die er besonders deutlich in seinen 1918 erschienenen "Betrachtungen eines Unpolitischen" zum Ausdruck gebracht hatte, konterte Hanns Johst mit einem offenen Brief an Mann unter dem Titel "An einen neuen Republikaner": "Wir verzichten auf das Wort, weil wir an die Tat glauben. Seit vier Jahren hat die Republik das Wort, sie hat Argument auf Argument gehäuft, daß sie zu Recht besteht, und wahrscheinlich. Sie sind nicht ihr schlechtester Lobredner geworden. Nur ist uns der radikalste Utopist von links und rechts wahlverwandter als der literarisch gewichtigste Sprecher der Vernunft, des Geistes, des Rechtes, der Menschlichkeit, der Humanität" (S. 12).
So ganz auf das Wort verzichten konnte Johst dann freilich nicht. Doch das Wort--also seine schriftstellerische Tätigkeit--sollte bei ihm Tat sein, mehr noch: politische Aktion sollte es werden. So wurde Hanns Johst folgerichtig--wie es Rolf Düsterberg in seiner Abhandlung über den Schriftsteller und späteren Parteifunktionär zutreffend auf den Punkt bringt--zum "Typ des politischen Schriftstellers schlechthin" (S. 13).
In seiner Biographie über Johst zeigt Düsterberg eindringlich auf, wie genau diese Entwicklung von statten ging, und vor allem welche politischen und weltanschaulichen Überzeugungen Johst im Laufe seiner schon kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges und dann Jahrzehnte lang währenden Karriere in seinen Schriften vertrat. Für die zwanziger Jahre verortet Düsterberg den Schriftsteller dabei im Umfeld jener politischen Intellektuellen, die seit Armin Mohler in der Forschung mit dem Sammelbegriff "Konservative Revolution" beziehungsweise "Konservative Revolutionäre" bezeichnet werden.[1] Diese heterogene Strömung umfaßte zwar die verschiedensten Konzeptionen, die meisten ihrer Vertreter hatten aber in der Tat gemeinsam, daß sie ihre Schriften vornehmlich als politische Kampfmittel einsetzten, die Weimarer Republik verachteten und zutiefst antidemokratischer Gesinnung waren. Trotz mancher Gemeinsamkeiten mit der nationalsozialistischen Weltanschauung schlossen sich nicht alle Vertreter der "Konservativen Revolution" der NSDAP an. Hanns Johst allerdings, der--wie Düsterberg überzeugend nachweist (vgl. bspw. S. 68, 88, 107)--schon spätestens Mitte der zwanziger Jahre nicht mehr zwischen verschiedenen antidemokratischen Weltanschauungen oszillierte, sondern sich klar zur sogenannten "völkischen" Denkrichtung bekannte, war in der Tat ein Vordenker oder mindestens Mitdenker der nationalsozialistischen Weltanschauung, selbst wenn Düsterberg einschränkend anmerkt, daß eine direkte Rezeption der Werke Johsts bisher nicht bekannt ist (S. 111).
Doch allein die Tatsache, daß zahlreiche führende Nationalsozialisten Johsts literarische Produktionen früh zu schätzen wußten (unter ihnen Adolf Hitler selbst), spricht für sich. Um 1927/28 entschloß sich der Dichter dann zu einem offenen Eintreten für die NSDAP, indem er begann, sich in ihrer Kulturorganisation, dem Kampfbund für deutsche Kultur, zu engagieren; am 1. November 1932 trat er schließlich in die Partei ein.
Sein vehementes Agitieren gegen die Weimarer Republik und "westliche" Vernunft, sein literarisches Bekenntnis zum völkischen Denken und sein noch vor dem Machtantritt Hitlers erfolgtes offenes Eintreten für die nationalsozialistische Sache wußten die neuen Machthaber schnell zu würdigen: Hanns Johst ist heute zu Recht weniger für seine qualitativ fragwürdigen, literarischen Produktionen bekannt, als vielmehr für seine herausragenden kulturpolitischen Funktionen im NS-Staat. Innerhalb weniger Jahre wurde er nicht nur preisgekrönter Dichter der Bewegung, sondern auch Staatsrat, Reichskultursenator, Präsident der Dichterakademie, Präsident der Union Nationaler Schriftsteller und Mitglied des Präsidialrates der Reichsschrifttumskammer. 1935 dann erhielt er einen hohen Rang in Heinrich Himmlers SS sowie sein einflußreichstes Amt: Hanns Johst wurde Präsident der Reichsschrifttumskammer.
An diesem Punkt angelangt, gewinnt Düsterbergs Studie an Schärfe und Überzeugungskraft. Die erste Hälfte des Buches nämlich stützt sich fast ausschließlich auf Johsts literarische--und wie gesagt qualitativ nicht überzeugende--Ergüsse vor 1933, die von Düsterberg akribisch zusammengefaßt werden (teilweise mit überlangen Zitaten gespickt, was den Lesefluß bisweilen erheblich beeinträchtigt) und dann interpretiert werden. Die vorbehaltlose Verwendung von literarischen Produktionen als historische Quellen ist dem Historiker per se zweifelhaft, auch wenn es Düsterberg--das sei an dieser Stelle hervorgehoben--über weite Strecken gelingt, seine Interpretationen durch die gelegentliche Hinzunahme von anderen Quellen überzeugend abzusichern.
Jedoch, der ein oder andere Zweifel ob dieser Vorgehensweise mag bestehen bleiben, und es ist sicherlich kein Zufall, daß an der Johst Rezeption nach 1945 kritisiert worden ist (besonders von Walter Riedel), daß auch Johsts vor 1933 erschienenen Werke ohne Zögern nationalsozialistisch gedeutet worden sind. Diese Diskussion erhielt ihre Brisanz dadurch, daß Johst--wie so viele andere im Dritten Reich tätige Künstler--sich in seinem Entnazifizierungsverfahren als unpolitischer Schriftsteller verkaufen wollte, der schon vor 1933 nur der Kunst verbunden war, dann naiv an Hitler glaubte und von den Greueltaten des Regimes nicht nur wenig bis keine Ahnung hatte, sondern daran in keinster Weise beteiligt war. Daß diese Verteidigungsstrategie Johsts auf blanken und infamen Lügen des Parteifunktionärs beruhte--daran besteht angesichts der vorliegenden Studie Düsterbergs freilich kein Zweifel mehr.
So kann Düsterberg durch zahlreiche unterschiedliche Quellen belegen, daß Johst der nationalsozialistischen Sache nicht nur geflissentlich, sondern auch mit Genuß diente: Sei es seine maßgebende Rolle bei der Gleichschaltung der Sektion für Dichtkunst der preußischen Akademie der Künste (S. 167-178), sein aktives Mitwirken an der Zerschlagung des deutschen PEN-Zentrums und der Gründung der Union nationaler Schriftsteller (UNS) (S. 179-188), oder aber sein Bemühen im Oktober 1933, Thomas Mann in Sippenhaft zu nehmen: "Könnte man nicht vielleicht Herrn Thomas Mann, München, für seinen Sohn [Klaus Mann] einwenig inhaftieren? Seine geistige Produktion würde ja durch eine Herbstfrische in Dachau nicht leiden, denn wir wissen aus unseren eigenen Reihen, welches famose Schrifttum gerade von nationalsozialistischen Häftlingen zur glücklichen Niederschrift kam. Ich erinnere nur an Hitler und Röhm" (S. 288).
Adressat dieser Zeilen war im Übrigen kein Geringerer als Heinrich Himmler, der sich wenige Tage später für die "ausgezeichnete Anregung" bedankte, die freilich nicht mehr durchführbar war, da Thomas Mann nicht nach Hitlers Deutschland zurückkehren würde. Zwischen Johst und Himmler existierte bis 1945 eine innige Freundschaft, die Düsterberg durch zahlreiche Briefwechsel dokumentiert. Die große Gemeinsamkeit, die beide verband, war dabei ohne Zweifel ihr Antisemitismus. Johst hatte sich schon vor 1933 als Antisemit entlarvt (vgl. bes. S. 142-151); nun, ausgestattet mit Ämtermacht, machte sich dieser Antisemitismus verstärkt bemerkbar, etwa durch die Denunziation und Entlassung von mit Juden sympathisierenden Mitarbeitern in der Reichsschrifttumskammer (S. 232ff.) oder aber durch eine von Johst genehmigte Inszenierung seines antisemitischen Stückes "Propheten" im Jahre 1933, in dem Juden an einem Baum gehängt wurden und die sogar dem anwesenden Hermann Göring zu weit ging, der dann auch dafür sorgte, daß Johst als Intendant des Berliner Staatstheaters zurücktreten und Gustaf Gründgens das Amt überlassen mußte.
Auch daß Hanns Johst von Anfang an umfassend über den Holocaust informiert war und diesen alles andere als mißbilligte, kann Düsterberg nachweisen. Die Freundschaft zwischen Himmler und Johst bewährte sich nämlich gerade in den Kriegsjahren: Himmler wollte, daß der von ihm verehrte Schriftsteller die Saga der NS-Zeit schrieb, und Johst begleitete den Reichsführer SS daher zu zahlreichen Fahrten, Besichtigungen und Besprechungen in die eroberten Ostgebiete. Unter anderem war Johst bei der berühmt-berüchtigten Posener Rede Himmlers anwesend, was alle Behauptungen, Johst habe von der systematischen Vernichtung des jüdischen Volkes wenig gewußt, ins Reich der Lügen verweist.
Im letzten Viertel des Buches, das sich hauptsächlich dem Entnazifizierungsverfahren widmet, unternimmt Düsterberg anhand Hanns Johst eine Art Fallstudie, die einmal mehr die Unzulänglichkeit dieser Prozedur belegt: 1955 wurde entschieden, daß Johst weder Hauptschuldiger noch Belasteter war. Ein literarisches Comeback allerdings blieb Johst durch den neuen Zeitgeist verwehrt und wenigstens daran litt der Ehrgeizling enorm. In einem seltenen Anflug von richtiger Selbsteinschätzung erklärte der über sein Schicksal lamentierende Schriftsteller seine Erfolgslosigkeit in der Bundesrepublik folgendermaßen: "Ich werde nie entdeckt werden.... so bin ich für die Intellektuellen zu dämlich und für die Dummen zu intellektuell" (S. 399).
Es ist nicht nur die menschenverachtende Weltanschauung dieses Schriftstellers, sondern auch jene mangelnde literarische und intellektuelle Kapazität, die seine Werke bis heute ungenießbar macht.
Anmerkung
[1]. Armin Mohler, Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932. Ein Handbuch (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1989). Die erste Auflage erschien bereits 1950.
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Citation:
Sylvia Taschka. Review of Düsterberg, Rolf, Hanns Johst: Der Barde der SS: Karrieren eines deutschen Dichters.
H-German, H-Net Reviews.
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