Historica. Weltgeschichte multimedial erleben. Für Jugendliche und Erwachsene. Cornelsen Software.
Published on H-Soz-u-Kult (June, 1999)
Nach der Intention des Verlages Cornelsen software ist Historica eine "ebenso spannende wie informative Lektuere fuer alle geschichtsinteressierten Leser". Der Adressatenkreis "Leser" verwundert ein wenig angesichts des Versprechens eines multimedialen Erlebnisses im Untertitel. Im "Lernsoftware-Katalog 1997", welcher dem Paket beiliegt, wird ab Jahrgangsstufe 5, d.h. etwa 10. Lebensjahr, bis zur EB (= Erwachsenenbildung) praktisch ein alle Altersstufen umfassender Nutzerkreis anvisiert. An keiner Stelle des beiliegenden Erlaeuterungsheftes finden sich differenzierende alters- oder bildungsspezifische Hinweise zur Nutzung der CD-ROM, d. h. hier kann jedermann Weltgeschichte interaktiv "erleben". <p> Das Beiheft bietet nach den ueblichen "Technischen Hinweisen" eine detaillierte Anleitung zur Orientierung in den 49 Szenarien, in welche die Weltgeschichte aufgeloest ist. Es folgen ein Verzeichnis der in 5 Bloecke (Ur- und Fruehgeschichte, Antike, Mittelalter, Die Neuzeit, 19. Jahrhundert bis heute) gegliederten Szenarien, denen noch vier "Uebergreifende Themen" (Entwicklung des Ackerbaus, Bevoelkerungswachstum, Ausbreitung der Religionen, Geschichte der Schrift) folgen. Der abschliessende "Anhang" ist gleichsam das Impressum, welches den italienischen Background der CD-ROM ausfuehrlich belegt. <p> Technische Hinweise: <p> Als Mindestausstattung des Multimedia-PCs wird ein 486 Prozessor mit 4 MB Arbeitsspeicher, 8 MB virtueller Speicher, 8 MB freier Speicherplatz auf der Festplatte und natuerlich MS-Maus, WINDOWS 3.1, SVGA-Grafikkarte (256 Farben), Soundkarte 8 Bit Sound Blaster und Doublespeed-CD-ROM-Laufwerk verlangt. Alle hoeheren Konfigurationen bieten selbstredend eine bessere Nutzung der CD-ROM. <p> Die Installation klappt problemlos. Detaillierte Angaben im Beiheft, dessen Texte wieder in der "Lies-mich-Datei" auftauchen, zu Grafikmodus, Speicher, Nutzung der Videosequenzen und Dekomprimierung der Audio-Files sind vor allem fuer WINDOWS 3.1-User hilfreich. Das Starten soll ueber den Doppelklick auf das Icon "Historica" erfolgen. Entgegen der Anleitung ist aber die Verknuepfung zur EXE-Datei ueber den Desktop nicht moeglich. Es folgt nur ein Hinweisfenster "Auf die Dateien von Historica kann nicht zugegriffen werden", gefolgt von weiteren Anweisungen. Bei der Verknuepfung auf dem Desktop fehlen bei der Registerkarte "Verknuepfung" unter "Eigenschaften" bei "Ziel" jedenfalls folgende Parameter "DIR=d:\DATA\FAST=c:\HISTORICA\FAST\SPEED=LOW". Das Programm kann aber problemlos ueber den MS-Explorer als EXE-Datei aufgerufen werden. <p> Eine Hotline von Cornelsen software hilft bei der Behebung technischer Probleme. Abgesehen von den o.g. Startunsicherheiten kam es bei der Nutzung der CD-ROM zu keinen technischen Aussetzern. <p> Das Hauptmenue: <p> Nach dem unvermeidlichen Vorspann erscheint als Hauptmenue eine interessante, da Interesse weckende Zeitleiste. Das Hauptmenue bietet neben "Hilfe", "Chronologie", "Zeitleiste", "Index", "Inhalt" und "Ende" einen verschiebbaren, mehrere Jahrhunderte umspannenden Zeitbalken, welcher die darueber angeordneten Szenarien vorbeigleiten laesst. <p> Die voreingestellte Zeitleiste beinhaltet eine Synopse, welche auf einer Zeitachse die als farbige Balken beschrifteten Szenarien vorstellt. Durch Antippen eines Balkens klappt ein einpraegsames Szenenbild hoch, und nach Anklicken erscheint das eigentliche Szenarium selbst. <p> Die Chronologie ist in drei geographische Bereiche (Asien und Naher Osten--Europa--Amerika, Afrika, Ozeanien) unterteilt, welche dem Betrachter die synchronen Zusammenhaenge geschichtlicher Daten vor Augen fuehren. Klickt man ein rotes DARUM an, wird man unmittelbar zu dem entsprechenden Szenarium gefuehrt. Dort kann man die Suche nach detaillierteren chronologischen Informationen fortsetzen--eine brauchbare Begleitung durch die Jahrhunderte, Jahrzehnte und Jahre. <p> Der Index, das Sach- und Personenverzeichnis der CD-ROM, ist (nur) von der voreingestellten Zeitleiste, von Chronologie und Inhalt im Hauptmenue erreichbar. Wuenschenswert waere ein unmittelbarer Zugang (ueber ein Icon ?) von den Szenarien aus, um nicht immer zum Hauptmenue zurueckkehren zu muessen. Umgekehrt fuehrt aber der Informationsweg direkt vom Index in die Szenarien. Der alphabetische Index oeffnet den Zugang zu einem Begriff (Person, Ort, Ereignis) ueber das Durchblaettern der Begriffe (gelegentlich mit Unterbegriffen) selbst oder durch Eingeben eines gewuenschten Suchbegriffs in einem Eingabefeld unten. Warum bestimmte Begriffe nicht auftauchen (etwa Canossa, Gotik, Inka, Maya, Romanik), darueber liesse sich streiten; mehr davon unten. <p> Die Hilfe bietet eine "ansprechende" Einfuehrung in die Nutzung der CD-ROM, welche anschaulich und allgemeinverstaendlich auch ungeuebtere Nutzer mit dem Handling vertraut macht. <p> Beim Ende ist vor dem Abschalten die gewohnte Sicherheitsabfrage nicht zu vergessen. Der unvermeidliche musikunterlegte Abspann laesst sich per Tastenklick (wie auch beim Vorspann) gluecklicherweise verkuerzen. <p> Die Szenarien: <p> Die Szenarien sind das Herzstueck von HISTORICA und entscheiden letztlich ueber die Qualitaet dieser auf "Erleben" angelegten Geschichtsschau. 49 chronologisch angeordnete Szenarien beinhalten zusammenfassend die Essentials einer Epoche, einer geschichtlichen Bewegung oder einer weltgeschichtlich interessierenden Persoenlichkeit. Alle einheitlich konzipierten Szenarien zeigen eine historische Karte des relevanten geographischen Gebiets, auf dem sich bis zu 20 interaktive Symbole tummeln. Diese Symbole, oft ein wenig willkuerlich ueber die Karte verteilt, sind Links zu weiterfuehrenden Infos ueber wichtige Ereignisse, historische Orte, Biographien oder sonstige soziale, wirtschaftliche, kulturelle Fakten oder Ereignisse. Hier wird Interaktion des Nutzers erwartet, und geboten werden insgesamt ueber 300 Fotos und Illustrationen oder 24 Minuten Videosequenzen. <p> Jedes Szenarium bietet einen audiovisuellen Ueberblick von einigen Minuten Dauer, der durch wechselnde Karten- und Bilderfolgen oder Animationen eine Gesamtschau der historischen Situation versucht. Dieser audiovisuelle Ueberblick rechtfertigt den Anspruch von Cornelsen software, Weltgeschichte interaktiv anzubieten, und duerfte den meisten Nutzern auch Spass machen. Unabhaengig von Umfang und Tiefe der Informationen wird generell Lust auf Zeitreisen oder <cite>spaziergaenge geweckt</cite>--ein nicht zu unterschaetzendes Plus in der bildungspolitischen Wirkung neuer Medien. <p> Der audiovisuelle Ueberblick bleibt keine fluechtige Sinneserfahrung fuer Auge und Ohr, sondern kann als erweiterte Textfassung eigens ueber einen Icon aufgerufen, gelesen und ausgedruckt werden. Positiv ist festzuhalten, dass in dieser Textfassung gelegentlich markierte Links Querverbindung zu ergaenzenden, weiterfuehrenden Szenarien anbieten. <p> Eine Reihe von historischen Karten sind das dritte Informationsglied, um ein Szenarium zu erkunden, und in Kartenfolgen lassen sich Entwicklungsprozesse verschiedenster Art nachvollziehen. Solche Kartenabfolgen erlebt man entweder im audiovisuellen Ueberblick oder beim eigenen Durchblaettern mit Hilfe von Pfeilen. <p> Eine detaillierte Chronologie (siehe oben) faechert historisch wichtige Daten als viertes Informationsmedium auf. Auch hier finden sich weiterfuehrende markierte Links, welche beim Ausdrucken aber nicht mehr als solche erscheinen. Generell lassen sich die Texte problemlos ausdrucken, ebenso die Karten und die Chronologien der Szenarien. <p> Der Aufbau der Szenarien laesst auf einen Blick lokale und zeitliche Verknuepfungen erkennen. Gefuehrt von sympathischen Stimmen wird ein Ausschnitt von Weltgeschichte erlebbar gemacht und das Interesse an weiteren Informationen geweckt. Ein sich anschliessendes Aufdecken von Bildern, Texten, Grafiken, Film- und Tondokumenten ermoeglicht hier, sich nach eignem Gusto fortzubilden und die vielgestaltigen Informationen zu nutzen. Zumindest ausdrucken lassen sich die Texte und Karten; alle weitergehenden multimedialen Moeglichkeiten wie Uebernahme von Film-, Ton- oder Videodokumenten oder gar die Verbindung ins Internet sucht man vergebens. Insofern hat sich die heutige Technik ueber die Erlebnisebene der CD-ROM hinausentwickelt und stuft sie als "ueberholt" ein. Dennoch ist fuer viele Nutzer der angebotene Standart ausreichend, weil die verfuegbare Hardware auch nicht moderner und Qualitaet nicht nur das Ergebnis raffinierter Animation ist. Dennoch erwartet man, wenn interaktives Erleben angekuendigt ist, wesentlich mehr. Falls eine dritte ueberarbeitete Auflage ( 2. Auflage 1997) kommt, wird sich die Redaktion dazu Gedanken machen muessen. <p> Zur Qualitaet der Daten: <p> Das Ziel der CD-ROM ist laut Begleitheft, "alle notwendigen Informationen anzubieten, um sich ein klares und verstaendliches Bild von einer historischen Epoche zu machen". Unter Verzicht auf eine bestimmte Intention erscheinen alle angebotenen Daten "einfach so richtig", unbefragt wahr. Unterschiedlichste Quellen, teilweise belegt, viele als Merktexte (als Lehrer denkt man an Tafelanschriebe) ohne Verfasserangabe, unterschiedlichste Bilddokumente, aus allen Kulturstufen zusammengetragen, tauchen auf und bringen ueberraschende Einblicke in vergangene Zeiten. Auswahlkriterien sind nicht erkennbar, hoechstens die Vorstellung: Variatio delectat. <p> Ist die CD-ROM als Datenbank von Nutzen? Wenn man gelegentlich in der Geschichte spazierengehen will oder einen groben Ueberblick ueber eine Epoche sucht, wird man unterhaltsam informiert. Wer auf Systematik oder Vollstaendigkeit Wert legt oder legen muss, ist mit anderen Medien besser beraten. Aufgefallen ist die sachliche, ausgewogene Bewertung neuzeitlicher Kulturbewegungen und die zurueckhaltende Darstellung kirchen- und religionsrelevanter Problemfelder wie Kreuzzuege, Reformation, Rigorismus, Hexenwahn und aehnlicher umstrittener Themen. <p> Die Gesamteinteilung in Fruehgeschichte, Antike, Mittelalter und Neuzeit spricht den europaeischen Kaeufer an, der sich leicht in diesem Geschichtsgerippe zurechtfindet. Geschichte ist vorwiegend Mittelmeergeschichte und nach der Voelkerwanderung europaeisch lokalisierte Geschichte, bis dann zu Beginn der Neuzeit Amerika auftaucht und Asien (Tuerken, Perser, Mongolen, Japan und der australische Kontinent). Lateinamerika erfaehrt erst "zwischen Diktatur und Demokratie" im 19. Jahrhundert Beachtung. Typisch fuer diese europaeische Blickverengung ist z.B. das Fehlen der Maya- und Inkakulturen, welche im Index nicht einmal genannt sind und nur in Nebensaetzen bei der Eroberung Amerikas bzw. beim europaeischen Kolonialismus erwaehnt werden. Afrika erscheint ebenso geschichts- wie kulturlos, abgesehen von Nordafrika, und taucht nur im Zusammenhang mit der Aufteilung unter die europaeischen Grossmaechte nach dem Ersten Weltkrieg auf. Australien geht es nicht viel besser, es wird nur schon frueher entdeckt! <p> Fazit: <p> Die HISTORICA-Weltgeschichte ist ein Angebot fuer Laien mit historischen Interessen und Vorkenntnissen, jedoch kein vertiefendes Werk fuer Fachhistoriker. Der Paedagoge findet die in Schulbuechern angebotenen bekannten Informationen, angereichert mit zahlreichen Bildern, Kleintexten und wenigen Tondokumenten - ein sprechendes Geschichtsbuch sozusagen. Der Jugendliche kann sich erste Uebersichten verschaffen und gewinnt plakative Gesamtbilder ueber die Geschichte als Folge von Szenarien. Die "Grundzuege" der Szenarien mit der knappen weiterfuehrenden Literatur koennen jede Altersstufe durch ihre Zusammenfassungen und abgewogenen Urteile zum Nach- und Weiterdenken anregen. Landen wir letztendlich doch wieder beim Leser des Anfangs, der sich Zeitleisten, Karten und Texte ausdruckt?
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