Propylän Weltgeschichte. Eine Universalgeschichte von den Anfängen bis zur Nachkriegszeit. Directmedia Publishing.
Published on H-Soz-u-Kult (July, 1999)
Der Berliner Verlag DirectMedia hat mit dem 14. Band der Digitalen Bibliothek "Propylaeen Weltgeschichte" sein vor allem durch den ersten Band der Reihe "Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka"[1] bekanntes Konzept zur Digitalisierung von literarischen und philosophischen Standardwerken nun auch auf den historischen Bereich ausgeweitet. Weitere Darstellungen, Materialien und Quellensammlungen zur juengeren und aelteren Geschichte sollen folgen und sind zum Teil auch schon erschienen, z.B. das "Lexikon der Antike" als 18. Band der Digitalen Bibliothek. Einen aktuellen Ueberblick ueber den Fortschritt der Bemuehungen liefert die Homepage des Verlages: http://www.digitale-bibliothek.de. <p> Mit der Digitalisierung des urspruenglich von Golo Mann, Alfred Heuss und August Nitschke von 1960 bis 1965 herausgegebenen Werkes zur Weltgeschichte mit universalhistorischem Ansatz liegt mittlerweile schon die dritte Verwertung der in Printform 10 Baende und 2 Zusatzbaende ("Summa historica" und "Bilder und Dokumente") umfassenden Textsubstanz vor, die zudem um eine "Universalgeschichte in Stichworten" bis 1985 erweitert wurde. Bekannt und wohl aufgrund des guenstigen Preises auch sehr populaer geworden ist das Werk aber vor allem durch einen Nachdruck von 1991 durch den Ullstein Verlag, in dessen Besitz der Propylaeen Verlag sich befindet. Die CD-Rom-Version dieses Standardwerkes soll nun--nach Ansicht des DirectMedia Verlages--den "Mangel an gleichrangigen Nachfolgeunternehmungen" kompensieren und den Verbreitungsgrad der jetzt digital verfuegbaren Buecher noch einmal erhoehen. <p> In der Tat hat es im deutschsprachigen Raum seit der auch von der spezifischen Situation des Kalten Krieges gepraegten "Propylaeen Weltgeschichte" und ihren zwei Vorgaengern[2] kaum Nachfolger einer universalhistorisch angelegten Weltgeschichte gegeben. Zu nennen waeren hier etwa das von Herbert Franke 1965 bis 1975 herausgegebene "Saeculum Geschichte" oder die in 36 Baenden angelegte "Fischer Weltgeschichte". Dass es zur Zeit kaum aktuelle Ansaetze zu einem universalhistorischen Konzept gibt, duerfte indes seine Gruende darin haben, dass nicht nur die Spezialisierung der Forschungsbereiche so weit fortgeschritten ist, dass in einigen Teildisziplinen der Ueberblick verloren zu gehen droht, sondern auch vor allem darin, dass sich gegenueber der weitgehend politikgeschichtlich gehaltenen "Propylaeen Weltgeschichte" das Paradigma der Methodik erheblich verschoben hat. Wer heute an die Konzeption einer 'Totalgeschichte' denken wollte, der muesste viel mehr als die "Propylaeen Weltgeschichte" auch Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und die immer staerker hervortretende Kulturgeschichte beruecksichtigen. Fragen der strukturellen Modernisierungsprozesse (soziale Ungleichheit etwa) muessten fuer die Neuzeit gleichsam transparent gemacht werden wie etwa die Frage antiker Sozialhierarchie in Bezug auf die Herrschafts-, Macht- und Privilegienverteilung, um nur den Horizont anzudeuten, vor dem ein solches Unternehmen stehen muesste. Solche Fragestellungen jedoch fehlen in der "Propylaeen Weltgeschichte" noch gaenzlich. <p> Dass gerade aber auch dieses Konzept der Universalgeschichte bereits den 'zeitgenoessischen' Rezensenten des Werkes Probleme bereitet hat, spricht zumindest fuer ein in dieser Hinsicht bereits geschaerftes Bewusstsein.[3] Warum z.B. fehlen in dem Ueberblick zum 16. Jahrhundert die Darstellungen zur dynamischen Entwicklung der Preise, der sozialen Auswirkungen des ungeheuren Staedtewachstums oder eine Analyse der Umwaelzungen durch den Ueberseehandel, um nur einige Desiderate zu benennen?[4] Oder warum wurden ausgerechnet die Darstellungen zur antiken Roemischen und Griechischen Geschichte auf zwei Baende verteilt,[5] wo doch der universalhistorische Ansatz gerade die vielfaeltigen Wechselwirkungen dieser zwei Kulturen haette aufzeigen sollen? <p> Aber vielleicht liegt ja gerade der Wert der nunmehr vorliegenden CD-Rom- Version auch darin, dass nun alle Baende der "Propylaeen Weltgeschichte" sozusagen unter einer Oberflaeche "vereinigt" sind und sich durch die sehr leistungsstarken Recherchefunktionen des Programmes als Ganzes durchsuchen lassen. Die CD-Rom-Version etabliert dadurch die "Propylaeen Weltgeschichte" zu einem leicht und schnell benutzbaren Handbuch der Weltgeschichte, das Lesen laengerer Textpassagen dagegen wird der Benutzer auch weiterhin lieber nicht am Bildschirm bewaeltigen wollen.[6] <p> Ueberhaupt ist die Software der Digitalen Bibliothek sehr solide gestaltet und laeuft auch noch auf betagteren Rechnern in akzeptabler Geschwindigkeit (PC ab 486, 8MB RAM, leider keine MAC-Version verfuegbar). Zu den bereits in der Rezension von Fotis Jannidis sehr ausfuehrlich beschriebenen Suchfunktionen sei noch anmerkend hinzugefuegt, dass eine Suchanfrage auch ueber alle bisher erschienenen 18 Baende der Digitalen Bibliothek moeglich ist, auch wenn nur ein Band--wie hier die "Propylaeen Weltgeschichte"--vorliegt. Einen Zugriff auf den Volltext hat man freilich jedoch erst, wenn man die entsprechende CD-Rom besitzt oder--und diese Funktion ist ein besonders herausragendes Feature des Softwarekonzeptes--wenn man sich monateweise einzelne digitale Bestaende gegen einen entsprechenden Betrag registrieren laesst. Auf diese kann man dann online und von zu Hause aus zugreifen. <p> So ausgereift das Softwarekonzept fuer einzelne Baende aus der Digitalen Bibliothek auch sein mag, um so schmerzlicher vermisst der Benutzer das Fehlen einer multi-tasking-faehigen Oberflaeche, die auch mehrere Baende gleichzeitig verwalten kann. Bis jetzt muss der Benutzer naemlich jeden Titel aus der Digitalen Bibliothek einzeln aufrufen, um ihn im Volltext ansehen zu koennen; dem wird auch nicht durch den Besitz von 2 CD-Rom-Laufwerken oder durch das Anlegen von virtuellen CD-Rom-Laufwerken abgeholfen. Gerade das aber wird der Benutzer mehrerer Titel erwarten: dass man naemlich bestimmte Textpassagen der "Propylaeen Weltgeschichte" (Band 14) mit Auszuegen aus dem "Lexikon der Antike" (Band 18) etwa in einer Oberflaeche vergleichen kann und nicht erst die einzelnen Baende immer wieder neu laden muss. In diesem Zusammenhang waere es fuer den Benutzer auch wuenschenswert, wenn die Texte gleich komplett auf die Festplatte gepackt werden koennten, denn es hat sich gezeigt, dass CD-Roms haeufiger benutzt werden, wenn man sie nicht erst muehsam aus dem Archiv hervorholen muss. Der Plattenspeicher moderner Festplatten kommt mit diesen Datenmengen inzwischen spielend klar. <p> Ist also die Digitale Bibliothek das, was uns Lyotard in seinem Bericht ueber die Zukunft des Wissens 1979 versprach und was er als eine aufklaererische Utopie verstanden wissen wollte: die frei zugaengliche Datenbank anstelle der beschraenkt zugaenglichen Enzyklopaedie?[7] Eine Datenbank ist ja aus dem einstmals fuer die gebildete Oeffentlichkeit geschriebenen Standardwerk zur Weltgeschichte geworden, frei zugaenglich ist sie indes--auch aufgrund des proprietaeren Datenformats--noch immer nicht, und man wird es der DirectMedia Publishing GmbH auch kaum verdenken koennen. Schliesslich ist der Preis von 99,- DM fuer den erbrachten Aufwand der Digitalisierung nicht zu hoch und im Vergleich zu dem Originalpreis der Erstauflage doch ein Schritt in Richtung dessen, was Lyotard im Sinn gehabt haben duerfte. <p> Und nicht zuletzt hat die CD-Rom-Version mit ihren vielfaeltigen Suchfunktionen den handbuchartigen Charakter des Werkes weiter befoerdert: als Nachschlagewerk fuer den oft allzu spezialisierten Fachwissenschaftler, als Ueberblicksdarstellung fuer den Lehrer oder als einfuehrender Text fuer den Schueler im Geschichtsunterricht. Wer freilich laengere Textpassagen aus dem Werk lesen moechte, wird auch nach wie vor auf die gleich teure Printausgabe der Baende zurueckgreifen wollen. <p> Anmerkungen: <p> [1]. Vgl. hierzu die ausfuehrliche Rezension von Fotis Jannidis, die ebenfalls ueber H-SOZ-U-KULT gelaufen ist: http://hsozkult.geschichte.hu- berlin.de/rezensio/digital/cdrom/datenban/jafo07 99.htm <p> [2]. Von 1929 bis 1933 erschien die in 10 Baenden von Walter Goetz in Berlin herausgegebene "Propylaeen Weltgeschichte" und als dessen Nachfolger die in deutlicher nationalsozialistischer Tendenz gehaltene und von Willy Andreas besorgte "Die neue Propylaeen Weltgeschichte", von der allerdings in den Jahren 1940-43 lediglich 4 Baende erschienen. <p> [3]. Vgl. Franz-Josef Schmales Rezension ueber Band V (Islam), in: HZ 207(1968), S. 89-94, aber vor allem Karl Erich Born ueber Band VI (Weltkulturen), in: HZ 201 (1965), S. 398-400. <p> [4]. Vgl. H. G. Koenigsberger ueber Band VII, in: HZ 206 (1968), S. 401-405. <p> [5]. Vgl. H. E. Stier ueber Band III (Griechenland), in: HZ 203 (1966), S. 641- 650. <p> [6]. Gleichwohl steht fuer den sehbehinderten Benutzer der Digitalen Bibliothek eine sog. Braille MS-DOS basierte Lesehilfe zur Verfuegung, die das Lesen der Texte am Bildschirm erleichtern soll. <p> [7]. Vgl. Jean-Francois Lyotard, Das postmoderne Wissen: ein Bericht, Graz, Wien 1986.
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July, 1999.
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