Beth ha-Knesseth--Ort der Zusammenkunft. Zur Geschichte der Muenchner Synagogen, ihrer Rabbiner und Kantoren. J?dischen Museum M?nchen.
Published on H-Soz-u-Kult (March, 2000)
"Am Nachmittag versammelte sich in groesster Bewegung (...) die ganze Gemeinde in dem Gotteshaus. Es wurden die Awino Malkenu gesagt, ein letztes Kaddisch, und die Thorarollen wurden in feierlichem Zuge in das Verwaltungsgebaeude getragen. Am Tage darauf begann der Abbruch des Gotteshauses. Ich stand mit unserem Oberkantor, Professor Kirschner, auf der Treppe des Verwaltungsgebaeudes und schaute auf das Werk der Zerstoerung. An unser Ohr toente der Ruf: 'Achtung, es wird gesprengt.' (...) So fiel das Gotteshaus nach 50jaehrigem Bestand, eine Zierde der Stadt, ein Opfer des fanatischen Hasses." Mit diesen eindringlichen Worten beschrieb Dr. Alfred Neumeyer, der Vorsitzende der Muenchner Israelitischen Kultusgemeinde, einen Vorgang, der selbst in einer Zeit des aggressiven Antisemitismus eine neue Dimension der Angriffe gegen die juedische Bevoelkerung in Deutschland markierte. Nur einen Tag zuvor, am 8. Juni 1938, hatten ihn Beamte des Bayerischen Innenministeriums zu sich zitiert und ihm eroeffnet, dass die Muenchner Hauptsynagoge in der Herzog-Max-Strasse abgerissen werden solle. Ueber Nacht konnten die Gemeindemitglieder in aller Eile noch einen Teil des Inventars und wichtige Ritualgegenstaende retten. Wenige Stunden spaeter, am Vormittag des 9. Juni 1938, begann die bekannte Muenchner Baufirma Leonhard Moll im Auftrag der Stadt die Abbrucharbeiten. Nach drei Wochen war das praechtige Gebaeude im Zentrum Muenchens beseitigt und die freigewordene Flaeche diente fortan als Parkplatz. <p> Die angeblichen "verkehrstechnischen Probleme", mit denen die Behoerden den Abbruch der Synagoge angeordnet hatten, waren jedoch nur vorgetaeuscht. Eine persoenliche Anweisung Adolf Hitlers, der sich bei einem Anfang Juni 1938 erfolgten Besuch in Muenchen durch das Haus gestoert fuehlte, gab den eigentlichen Grund zur Abbruchentscheidung. Die Hauptsynagoge von Muenchen war damit - fuenf Monate vor der sogenannten "Reichskristallnacht" - die erste von den Nationalsozialisten in Deutschland zerstoerte Synagoge. Gegen diesen durch staatliche Behoerden offiziell legitimierten Akt des Vandalismus regte sich unter der nichtjuedischen Bevoelkerung Muenchens kein Widerstand. Dem Memorizid, der Ausloeschung der symbolischen Orte der Erinnerung an die juedische Geschichte in Muenchen, folgte nur wenig spaeter der Genozid, die planmaessige und industrialisierte Vernichtung der juedischen Bevoelkerung. <p> Mit der Zerstoerung der Muenchner Hauptsynagoge beschaeftigen sich jetzt aus jeweils unterschiedlicher Perspektive zwei Ausstellungen in der Landeshauptstadt. "Kein Ort mehr" ist das Ergebnis der Arbeit einer Geschichtswerkstatt, die vom November 1997 bis Sommer 1999 bei der Muenchner Volkshochschule angesiedelt war. Ausgangspunkt dieses Projekts bildete die Rekonstruktion der Geschichte des Hauses "Lindwurmstrasse 127/Rueckgebaeude". Dieses Gebaeude, das heute die zentralen Unterrichts- und Seminarraeume der Volkshochschule beherbergt, diente der Israelitischen Kultusgemeinde Muenchen in den Jahren zwischen 1938 und 1945 als Gemeindehaus mit Betsaal. Demgegenueber spannt die im Juedischen Museum gezeigte Ausstellung "Beth ha-Knesseth - Ort der Zusammenkunft", die in enger Kooperation mit dem Stadtarchiv Muenchen erarbeitet wurde, einen weiteren Bogen: In vier Ausstellungsraeumen rekonstruiert sie juedisches Leben in Muenchen vom Mittelalter bis in die Gegenwart. <p> Auch die Geschichte der Juden in Muenchen ist - wie der erste Raum der Ausstellung "Beth ha-Knesseth" ausfuehrlich darstellt - durch Gewaltexzesse und wiederholte Vertreibungen gekennzeichnet. Bereits die spaerlich ueberlieferten fruehen Zeugnisse juedischen Lebens in der Haupt- und Residenzstadt weisen deutlich in diese Richtung: Am 12. Oktober 1285 fiel nahezu die gesamte juedische Einwohnerschaft Muenchens einem Pogrom zum Opfer, im Jahr 1349 wurde den Juden eine Pestepidemie zur Last gelegt, 1413 fuehrte eine vermeintliche "Hostienschaendung" zu blutigen Verfolgungen und um 1440 vertrieb Herzog Albrecht III. saemtliche Juden aus der Stadt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erfolgten erste zaghafte Versuche einer rechtlichen Besserstellung der Juden in Bayern. Das am 10. Juni 1813 erlassene "Edikt die Verhaeltnisse der juedischen Glaubensgenossen im Koenigreich Bayern betreffend" schuf die Grundlage fuer die Bildung juedischer Gemeinden. In Muenchen erfolgte deren Gruendung in den ersten Monaten des Jahres 1815, unmittelbar danach setzten bereits die Planungen zum Bau einer Synagoge ein. Der langwierigen Suche nach einem geeigneten Grundstueck und den diversen behoerdlichen Genehmigungen folgte im Jahr 1826 die Einweihung einer Synagoge in der heutigen Westenriederstrasse. <p> Die beiden folgenden Ausstellungsraeume widmen sich den weiteren Sakralbauten, die bis in die dreissiger Jahre des 20. Jahrhunderts entstanden: 1887 wurde die eingangs erwaehnte grosse Hauptsynagoge in der Herzog-Max-Strasse errichtet, in den Jahren 1891 und 1892 erbaute der orthodoxe Teil der juedischen Gemeinde in der Maximilianstrasse die Synagoge "Ohel Jakob". Um die Jahrhundertwende wuchs die Muenchner Kultusgemeinde aufgrund der Zuwanderung von Juden aus Osteuropa stark an. Unter den ostjuedischen Neumuenchnern entstand rasch der Wunsch nach einem eigenen, orthodoxen Bethaus. Ende der zwanziger Jahre wurde in der Reichenbachstrasse von dem jungen Architekten Gustav Meyerstein im Stil der Neuen Sachlichkeit ein Synagogenneubau errichtet. <p> Der vierte Raum thematisiert die schwierige Situation der juedischen Gemeinde in Muenchen nach 1945. Gezeigt werden Fotografien von der am 20. Mai 1947 erfolgten feierlichen Wiedereroeffnung der Synagoge in der Reichenbachstrasse, die bis heute der Israelitischen Kultusgemeinde in Muenchen und Oberbayern als Hauptsynagoge dient. Ein eigener Abschnitt widmet sich der Geschichte der Synagogenmusik und stellt verschiedene Kantoren der Muenchner Gemeinde vor. <p> "Beth ha-Knesseth" loest die im Titel angekuendigten Ziele ein und rekapituliert die Geschichte der Muenchner Juden aus Sicht der Synagogen, ihrer Rabbiner und Kantoren. Die Ausstellung liefert einen detaillierten Ueberblick zum juedischen Leben in Muenchen von seinen Anfaengen im 12. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Optisch anspruchsvoll gestaltete Stellwaende praesentieren umfassende biographische Skizzen zu Rabbinern und Kantoren der Muenchner Israelitischen Gemeinde. Plaene und Skizzen zu den Synagogenbauten sowie zahlreiche Kultgegenstaende in Vitrinen geben Einblick in das Leben der juedischen Glaubensgemeinden in Muenchen. Wenn auch bei der Praesentation der Stuecke erklaerende Texte ueberwiegen, so ist doch das Bemuehen um eine multimediale Praesentation unverkennbar: Neben der Einbeziehung von zeitgenoessischem Filmmaterial ueber den Abriss der Hauptsynagoge im Juni 1938 besteht ueber Kopfhoerer die Moeglichkeit synagogale Musik zu hoeren. Etwas improvisiert wirken die engen Ausstellungsraeume in einem kleinen Rueckgebaeude der heutigen Israelitischen Kultusgemeinde. "Beth ha-Knesseth" soll allerdings den Grundbaustein fuer das geplante Juedische Museum der Stadt Muenchen bilden und dort in grosszuegigeren Raeumen untergebracht werden. Vielleicht laesst sich dann mehr Mut im Hinblick auf eine unkonventionellere Ausstellungsarchitektur aufbringen. <p> Wesentlich weniger repraesentativ, jedoch ebenso informativ zeigt sich die Ausstellung "Kein Ort mehr", die in einem Flur des zentralen Unterrichtsgebaeudes der Muenchner Volkshochschule untergebracht ist. Ihr Ausgangspunkt ist die Geschichte des Hauses "Lindwurmstrasse 127/Rueckgebaeude", in dem sich - wie die umfangreichen Recherchen der Geschichtswerkstatt ergaben - die ebenso wechsel- wie leidvolle Geschichte juedischen Lebens in Muenchen widerspiegelt. <p> Der ehemalige Fabrikbau war am Ende des 19. Jahrhunderts von der Familie Einstein errichtet worden und beherbergte zunaechst eine elektrotechnische Fabrik. Nach deren Liquidation noch vor dem Ersten Weltkrieg und zahlreichen Besitzwechseln des Hauses fand im Jahr 1938 die Muenchner Israelitische Gemeinde dort ihre letzte Zufluchtsstaette. Der Umzug der Kultusgemeinde aus dem Zentrum der Muenchner Altstadt in einen haesslichen Fabrikhinterhof hatte symbolischen Charakter und dokumentierte sinnfaellig die zahllosen Repressalien, denen sich die juedische Bevoelkerung in Deutschland mittlerweile ausgesetzt sah. Von hier aus versuchte die Israelitische Gemeinde das Ueberleben der Juden in Muenchen zu ermoeglichen. <p> In zahlreichen Fotografien und Schriftstuecken dokumentiert "Kein Ort mehr" die antisemitischen Uebergriffe gegen die juedische Bevoelkerung. Eine Flut von Gesetzen, Verboten und Vorschriften bestimmte den Alltag und machte einen geregelten Lebensablauf unmoeglich: Juden war es verboten, die Strassenbahnen zu benutzen, sie durften oeffentliche Parks und Gebaeude nicht mehr betreten und mussten als weithin sichtbares Zeichen der Diskriminierung den Davidstern an der Kleidung tragen. Dem Ausschluss aus dem oeffentlichen Leben folgten Vertreibung, Deportation und Vernichtung. <p> Die Geschichtswerkstatt, die "Kein Ort mehr" konzipiert und erarbeitet hat, rekonstruiert detailgetreu die Geschichte des Hauses "Lindwurmstrasse 127/Rueckgebaeude". Unter der Leitung von Stefan Wimmer begaben sich ihre Mitglieder auf die nicht immer einfache Suche nach Zeitzeugen, Fotografien und schriftlichen Dokumenten. In vorbildlicher Weise praesentieren sie mit dieser Ausstellung die Ergebnisse ihrer Arbeit einer breiten Oeffentlichkeit und stellen damit eindrucksvoll unter Beweis, wie wichtig und ergiebig historische Recherchen im Mikrobereich sein koennen. Besonders hervorzuheben ist die einfache, aber effektive Ausstellungsarchitektur: Texte und Fotos wurden auf Quader aufgezogen, die in unterschiedlicher Tiefe aus der Wand ragen. Die dadurch entstehende reliefartige Struktur gliedert die einzelnen Themenbereiche und erleichtert damit den inhaltlichen Zugang. <p> Zu beiden Ausstellungen sind Begleitbaende erschienen, die in vielen Fotografien und Reproduktionen von Originalquellen reiches Material enthalten. Beide Buecher wollen ueber die Ausstellung hinaus wirken und liefern einen wichtigen Beitrag zu einem lange vernachlaessigten Kapitel der Muenchner Stadtgeschichte. <p>
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