Radu Florescu, Anthony R. DeLuca, Paul D. Quinlan. Romania, Culture, and Nationalism. Boulder, Colo.: East European Monographs, 1998. 184 pp. $22.50 (cloth), ISBN 978-0-88033-417-4.
Reviewed by Hans-Christian Maner (Geisteswissenschaftliches Zentrum für Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO), Leipzig)
Published on HABSBURG (September, 1999)
Geschichte als Leidenschaft und Verpflichtung
Beim vorliegenden Sammelband handelt es sich um eine Jubilaeumsausgabe anlaesslich der Beendigung der wissenschaftlichen Laufbahn des Historikers Radu Florescu am Boston College. Freunde, Kollegen und Schueler widmen ihm eine Festschrift mit Beitraegen, die das Schaffen, die persoenlichen Interessen und den Lebensweg des Wissenschaftlers widerspiegeln.
Radu R. Florescu, der aus einer traditionsreichen Bukarester Bojarenfamilie stammt, hatte Rumaenien bereits mit Kriegsbeginn 1939 verlassen und sich nach Aufenthalten in England schliesslich in den USA niedergelassen. Dort sammelte er erste wissenschaftliche Erfahrung unter der Leitung des bekannten Fachmannes fuer Geschichte Rumaeniens, des Professors T. W. Riker.[1] Die Aufmerksamkeit Florescus galt zunaechst dem 19. Jahrhundert und der Einbettung der rumaenischen Fuerstentuemer in das diplomatische Kraeftespiel der Grossmaechte.[2]
In Anlehnung an diese Zeit und an den Lebensweg des Gefeierten verfasste die bekannte Bukarester Historikerin Cornelia Bodea eine lesenswerte biographische Skizze ueber eine ungewoehnliche Frau des 19. Jahrhunderts aus amerikanischer Sicht ("Doria d'Istria (1828-1888) through American Eyes"). Die Graefin Dora d'Istria, eine gebuertige Ghica, war eine aufgeklaerte und fortschrittliche Persoenlichkeit. Nach Studien in Dresden, Berlin, Wien und Venedig fuehrte sie die Heirat mit dem Grafen Alexander Koltzoff-Massalsky nach Russland. 1855 verliess sie Russland und ging nach Westeuropa, wo sie 1888 in Florenz starb. Stark beeinflusst durch das liberale Gedankengut unterstuetzte die Graefin Helena Ghica-Massalsky unter dem Kuenstlernamen Dora d'Istria in ihren Schriften nicht nur die nationalen Bestrebungen der rumaenischen Intellektuellen. Sie setzte sich aus dem selbstgewaehlten politischen Exil fuer demokratische Prinzipien und nationale Emanzipation der Voelker Suedosteuropas ein. Bodea geht der Rezeption von Person und Werk in Amerika anschaulich nach.
Das zweite -- man moechte fast sagen: eigentliche -- Spezialgebiet Radu R. Florescus war in Anlehnung an Bram Stokers Romanbestseller die Erforschung der historischen Gestalt Draculas. Gemeinsam mit Raymond McNally verfasste er nicht weniger als sieben Buecher zu Vlad Dracul.[3] McNally, der langjaehrige Mitstreiter Florescus, zeichnet in seinem Artikel ein Bild Vlad Draculas aus der Sicht Papst Pius II. und seines Legaten Modrusa ("Vlad Dracula and Pope Pius II: The Prince and the Pope from the Vatican Secret Archives"). Dabei stuetzt er sich auf Handschriften aus dem Geheimen Vatikanischen Archiv (Archivio Segreto Vaticano). Daraus wird deutlich, wie sehr das Oberhaupt der katholischen Christenheit auch auf Dracula als Kreuzzugfahrer gegen die Tuerken gesetzt hatte.
Um eine Neubewertung des Verhaeltnisses zwischen dem Fuersten und den Bojaren geht es Kurt W. Treptow ("Vlad III Dracula and the Relations with the Boyars and the Church"). Der in Iasi das Zentrum fuer Rumaenien-Studien leitende amerikanische Historiker will dabei das von der kommunistischen Historiographie geschaffene Bild von Dracula als "Klassenheld," der gegen die "boesen Bojaren" gekaempft hat, revidieren. Anhand der erneuten kritischen Durchsicht der vorhandenen Dokumente kommt Treptow zu dem Schluss, dass der Fuerst sich gegen die Bojaren stellte, um so seine eigenen Leute -- Freunde und Verwandte -- zu foerdern.
Aus den frueheren Jahrhunderten erfolgt im Sammelband ein Sprung in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts. Der Schwerpunkt der Artikel zu unserem Jahrhundert liegt eindeutig im Bereich der Aussenpolitik und der internationalen Beziehungen. Zunaechst untersucht Paul D. Quinlan das Verhaeltnis Koenig Carols II. zu Deutschland ("King Carol II and Germany"). Als Verfasser einer Biographie ueber Carol II.[4] praesentiert er einen Monarchen der, eingekeilt zwischen den totalitaeren Grossmaechten Deutschland und Sowjetunion, in ersterem das kleinere Uebel sah. Der rumaenische Koenig betrieb demnach keine geradlinige Politik gegenueber Deutschland. Auch Quinlan charakterisiert ihn zu Recht nicht als Freund Hitlers und des Dritten Reiches.
Spannend lesen sich die Ausfuehrungen von Ernest H. Latham, Jr. ueber die Evakuierung von alliierten Piloten aus Rumaenien, wo die Rote Armee Ende August/Anfang September bereits auf dem schnellen Vormarsch war ("Efficient and Rapid: The Letters of Major Walter Ross of OSS to the Commanding Officer, Lieutenant Commander Edward Green, During the Evacuation of Allied Airmen from Romania, August 30-September 2, 1944"). Daraus geht bereits die kuenftige Politik des Kalten Krieges hervor. Nuetzlich fuer den Leser erscheint dabei, dass die zentralen Dokumente im Anschluss abgedruckt sind.
Die Beitraege von Joseph Harrington "American-Romanian Relations 1953-1998," Anthony R. DeLuca "The Impact of Gorbachev's "New Thinking on Eastern Europe" und Robert Weiner "Postcommunist Romanian Foreign Policy at the U.N." fuehren in die unmittelbare Zeitgeschichte. Insbesondere aus den Darlegungen Harringtons wird auch die Aktivitaet Florescus als Diplomat deutlich, der sich intensiv fuer einen staendigen und engen amerikanisch-rumaenischen Dialog eingesetzt hat. Zugleich bietet er bisher unbekannte Erklaerungsansaetze fuer die postkommunistische Politik der USA gegenueber Rumaenien.
Auch wenn der letzte Beitrag von Earl A. Pope, der sich mit einem zu Unrecht eher vernachlaessigten Thema befasst, den inhaltlichen roten Faden des Bandes sprengt, ist er darum nicht weniger begruessenswert. Die religioese Lage und das Problem einer orthodoxen "Nationalkirche" in dem multiethnischen und multikonfessionellen Land sind von zentraler Bedeutung fuer das Verstaendnis der inneren Entwicklung Rumaeniens nach dem Dezember 1989. Zahlreiche Probleme in diesem Bereich koennen nicht ohne den Rueckblick in die Geschichte erklaert werden. Dabei muesste jedoch weiter zurueckgeblendet und nicht nur die juengsten Ereignisse ("recent history", S. 171) beruecksichtigt werden. Schluesselereignisse sind die Entwicklung nach der Entstehung des modernen Staates Rumaenien im 19. Jahrhundert sowie nach dem Ersten Weltkrieg. Schliesslich kann dem Fazit Popes zugestimmt werden, demzufolge erst die Beseitigung des Mythos "Nationalkirche" durch die orthodoxe Kirche zu einem wahren oekumenischen und religioesen Frieden fuehren kann. Dieser begruessenwerte Wunsch muss sich aber noch gegen die maechtige historische Tradition durchsetzen.
Die Beitraege bieten einen lesenswerten Querschnitt durch zentrale historische und aktuelle Problemfelder der Geschichte Rumaeniens. Die Autoren, erfahrene Experten auf ihrem Gebiet, stellen dies unter Beweis indem sie allesamt auf veroeffentlichte wie nichtveroeffentlichte Quellen als Belegstellen zurueckgreifen. Der mit einem Inhaltsverzeichnis, einem Vorwort der Herausgeber, und einer informativen von John M. Florescu verfassten biographischen Einfuehrung ueber Radu R. Florescu versehene Band wird mit einer Bibliographie der veroeffentlichten Arbeiten von Radu R. Florescu abgerundet.
Noten
[1]. Sein Werk The Making of Romania: The Study of an International Problem 1856-1866 (London: Oxford University Press, 1931; Neudruck: London, 1971) ist bis heute ein Standardwerk geblieben.
[2]. The Struggle Against Russia in the Romanian Principalities: A Problem in Anglo-Turkish Diplomacy, 1821-1854. Acta historica, t. 2 (Muenchen: Societas Academica Dacoromana, 1962). (Neudruck: Iasi 1997).
[3]. Weltbekannt wurde Florescu und McNally, In Search of Dracula: A True History of Dracula and Vampire Legends (New York: Warner, 1972).
[4]. Paul Quinlan, The Playboy King: Carol II of Romania (Westport, Connecticut: Greenwood Press, 1995).
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Citation:
Hans-Christian Maner. Review of Florescu, Radu; DeLuca, Anthony R.; Quinlan, Paul D., Romania, Culture, and Nationalism.
HABSBURG, H-Net Reviews.
September, 1999.
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