Alfred-Maurice de Zayas. A Terrible Revenge: The Ethnic Cleansing of the East European Germans, 1944-1950. New York: St. Martin's Press, 1994. xi + 179 S. $15.95 (paper), ISBN 978-0-312-12159-4.
Reviewed by Rainer Ohliger (Humboldt-Universität zu Berlin)
Published on HABSBURG (February, 1997)
Von Opfern und anderen Deutschen?
Mehr als 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Verschwinden der sozialistischen Regime in Ostmitteleuropa normalisieren sich die Beziehungen Deutschlands zu seinen östlichen Nachbarn Schritt für Schritt. Diese gegenseitige Annäherung steht allerdings unter dem Vorzeichen der Erinnerung an den von Deutschland verursachten Krieg und seine Auswirkungen und Folgen. Einem Teil dieser Folgen widmet Alfred-Maurice de Zaya sein Buch A Terrible Revenge. Der Autor schildert das Schicksal der Flüchtlinge und Vertriebenen aus den ehemals deutschen Ostgebieten (Schlesien, Ostpreussen, Vorpommern und Ostbrandenburg) sowie der deutschen Minderheiten in den ostmittel- und osteuropäischen Ländern (Polen, Tschechoslowakei, Ungarn, Jugoslawien, Rumänien und der UdSSR). Das Buch ist die überarbeitete und erweiterte englische übersetzung der 1986 erschienenen deutschen Fassung mit dem lakonischen Titel Anmerkungen zur Vertreibung der Deutschen aus dem Osten,[1] das in der Bundesrepublik bislang drei Auflagen erlebte.
Der Autor ist amerikanischer Staatsbürger und ausgebildeter Jurist, der in New York als Rechtsanwalt arbeitete, bevor er sich nach einem einjährigen Aufenthalt an der Universität Tübingen entschloss, seine Anwaltskarriere zu unterbrechen, um an der Historischen Fakultät der Universität Göttingen eine Dissertation zum Vertriebenenproblem zu schreiben, womit er offenbar sein Lebensthema fand. Er wurde 1977 mit der Arbeit Nemesis at Potsdam. The Anglo-Americans and the Expulsion of the Germans. Background, Execution, Consequences[2] promoviert, die 1980 auf Deutsch erschien und--ungewöhnlich für historische oder sozialwissenschaftliche Dissertationen, wenn man einmal vom Goldhagen Phänomen absieht--sich in Deutschland zu einem Bestseller entwickelte, der bereits acht Auflagen, die letzte 1996, erlebte. Als Kenner der Materie beriet der Autor sowohl den Bayrischen Rundfunk als auch den Südwestfunk für seine Dokumentationen zum Thema Flucht und Vertreibung und arbeitete am Bildband Flucht und Vertreibung mit.[3] Seine Bücher brachten ihm Unterstützung und wohlwollende Vorworte bundesdeutscher konservativer Politiker ein, er geriet allerdings mit seinen Arbeiten auch in die Gefechtslinien der Auseinandersetzungen um die Ostpolitik Willy Brandts und Walter Scheels, in der Vertriebene und ihre Fürsprecher als Gegner dieser politischen Verhandlungen Verrat deutscher Interessen witterten, die Befürworter jedoch einen notwendigen Schritt zur Normalisierung des Verhältnisses zwischen der Bundesrepublik Deutschland und ihren östlichen Nachbarn sahen.
Dass sieben Jahre nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und sechs Jahre nach der deutsch-deutschen Vereinigung die Interpretation von Flucht und Vertreibung deutscher Bevölkerung in der Nachkriegszeit ein bis heute sensibles und umstrittenes Thema sind, zeigte jüngst erst wieder das zähe Ringen um die deutsch-tschechische Erklärung, die von der unterschiedlich gelagerten historischen Erinnerung beider Länder überschattet wurde, nämlich einer Opferperspektive auf beiden Seiten, die wenig Raum für die Rolle der Täter liess.
De Zayas schreibt also zu einem Thema, das neben dem Holocaust zumindest zentral für das Selbstverständnis und die politische Identität der alten Bundesrepublik war und darüber hinaus über ein Thema, das mit dem kriegerischen Konflikt im zerfallenen Jugoslawien eine überaus aktuelle Brisanz gewonnen hat. Dass der Krieg auf dem Balkan, der erneut Massenvertreibungen in Europa auslöste, Anstoss zur vorliegenden englischen Auflage des Buches gab, wird schon im Untertitel (The Ethnic Cleansing ...), mehr aber noch im Text deutlich, in dem der Autor in seinem Resumee das Gedenken an die Vertreibung der deutschen Minderheit Jugoslawiens nach 1945 anmahnt, um so Lehren aus der Geschichte zu ziehen, die gegenwärtiges und zukünftiges Leid und Unheil verhindern könnten (S. 147)
Ordnet man A Terrible Revenge in das bisherige öuvre des Autors ein, so ist es mehr eine Nachschrift bzw. eine populärwissenschaftliche Abfassung seines wissenschaftlichen Werkes, insbesondere seiner Dissertation. De Zayas bietet seinen Lesern in sechs Kapiteln einen knappen Ueberblick über die Vorgeschichte von Flucht und Vertreibung (The Germans of East Central Europe; The Expulsion Prehistory: Interbellum Years and World War II), die politischen Hintergründe (War and Flight),ihren Verlauf (Allied Decisions on Resettlement, Expulsion and Deportation), und das Schicksal der Vertriebenen nach der Vertreibung in den Aufnahmegebieten (The Expellees in Germany - Yesterday and Today). Die deutsche Ostkolonisation des hohen Mittelalters als auch die Peuplierungspolitik im 18. Jahrhundert, die u.a. von deutschsprachigen Kolonisten getragen wurde, werden knapp und präzise dargestellt, um zu verdeutlichen, wie die ursprüngliche ethnische Heterogenität Ostmittel- und Südosteuropas zustande kam, die im 20. Jahrhundert einer zunehmenden Homogenisierung gewichen ist. Kultur- und geistesgeschichtliche Leistungen bedeutender Ostdeutscher (Ostdeutschland hier im historischen Sinne) werden herausgehoben, um den Verlust deutlich zu machen, den Flucht und Vertreibung bewirkten (sieht man einmal von dem Lapsus ab, dass der Geburtsort Caspar David Friedrichs, Greifswald in Vorpommern, fälschlicherweise den ehemals deutschen Ostgebieten zugeschlagen wird, tatsächlich aber auch heute noch ein Teil des vereinigten Deutschlands ist).
Die Entwicklungen der Zwischenkriegszeit und der Zeit des Zweiten Weltkrieges, die der Autor als Vorgeschichte der Vertreibung deutet, werden in erster Linie unter den Auswirkungen des Versailler Vertrags und der Nichtbeachtung des Selbstbestimmungsrechts der Völker geschildert. Dieses Selbstbestimmungsrecht sei nach 1918 grob fahrlässig verletzt worden, indem es Deutschland und insbesondere den Deutschen in Oberschlesien und im Sudetenland, die wider Willen in Polen bzw. der Tschechoslowakei leben mussten, vorenthalten worden sei. Eine Interpretation, die sich sehr stark an die zeitgenössischen politischen Debatten der Weimarer Republik anlehnt, aber neuere und nicht mehr ganz so neue sozialgeschichtliche Deutungen, die die Kontinuitäten spezifisch deutscher Entwicklungen aus dem 19. Jahrhundert heraus betonen (Sonderweg) oder aber das spannungsreiche Wechselverhältnis von Staatsnation, ethnischer Minderheit und "Mutterland," wie es z.B. Rogers Brubaker[4] analysiert, aussen vor lässt. In diesem Blick werden die Deutschen, insbesondere die jenseits des Staatsterritoriums dann allein zu Opfern einer verfehlten internationalen Politik erklärt ("The first victims of the war were the Volksdeutsche, ethnic German civilians, resident in and citizens of Poland," S. 21). Die politische Mobilisierung und Radikalisierung der deutschen Minderheiten in Ostmitteleuropa und die daraus resultierenden Konflikte lassen sich jedoch ohne das politische Einwirken von deutscher Seite und die Nationalisierung der deutschen Minderheiten nicht erklären. Auch ist die Aussage, dass die Radikalisierung unter nationalistischen Vorzeichen in Ostmittel- und Mitteleuropa in der Zwischenkriegszeit allgegenwärtig war, nur ein schwaches Argument, um den deutschen Anteil an der Vorgeschichte der Vertreibung zu verkleinern.
Gerade das vom Autor gewählte Beispiel der Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit greift zu kurz, da--die ethnopolitisch aufgeheizte Atmosphäre dieser Zeit in Rechnung gestellt--das Land es noch vergleichsweise gut verstand, bei der Etablierung des neuen Nationalstaats nationale Leidenschaften, die zu ethnischen Auseinandersetzungen führten, demokratisch zu zügeln, so lange der aussenpolitische Druck dieses zuliess.
Folgt man de Zayas Interpretation, sind alle Katzen des Nationalismus nachts auf einmal grau, die des deutschen allerdings noch ein wenig grauer. Ohne die Auswirkungen des Versailler Vertrags für die politische öffentlichkeit der Weimarer Republik und des "Dritten Reichs" unterschätzen zu wollen, ist eine Reduktion der komplexen sozialen und politischen Probleme hierauf doch zu einseitig. Das Argument hat in etwa die Ueberzeugungskraft wie die Interpretation des Autors, dass das Attentat auf den österreichischen Thronfolger im Juni 1914 in Sarajewo den casus belli dargestellt habe (S. 14). Vierzig Jahre nach der Fischerkontroverse über die Ursachen des Ersten Weltkriegs und drei Jahrzehnte nach dem Siegeszug der Sozialgeschichte ist es für Historiker nicht mehr legitim, so stark zu vereinfachen bzw. einem Einzelereignis solch herausgehobene Bedeutung beizumessen.
Bevor der Autor die Vertreibungen und ihre Begleitumstände selbst schildert, deutet er die aussenpolitischen Zusammenhänge der unmittelbaren Nachkriegszeit, in die die Vertreibungen nach seiner Ansicht einzuordnen seien. Zentral sei das Versagen der Westalliierten Grossbritannien und USA gewesen, die sowjetischen Expansionsbestrebungen auf den Konferenzen von Jalta und Potsdam nicht nachhaltig Einhalt geboten hätten und so die politische und moralische Verantwortung für die völkerrechtswidrigen Vertreibungen trügen. Eine These, auf der auch schon die Dissertation des Autors beruhte. Immerhin wird zuvor auf immerhin anderthalb Seiten (S. 27-29) erwähnt, dass es eine revisionistische, expansionistische und letztlich mörderisch Aussenpolitik von Seiten Nazi-Deutschlands gegeben hatte, die von 1938 bis 1945 andauerte und die zur Vorbedingung der Vertreibungen wurde, ohne die dieses Unrecht nicht zu erklären ist. Allerdings bleibt dieser kausale Zusammenhang, ohne den die Vertreibungen der Jahre 1945 bis 1947 nicht zu verstehen sind, deutlich unterbelichtet, was den analytischen Wert des Buches stark mindert und den Verdacht entstehen lässt, dass es sich um ein geschichtsrevisionistisches Werk handelt, das einen nur eindimensionalen Blickwinkel hat.
Die Schrecken der Vertreibungen mit all ihren grausamen Begleiterscheinungen wie Vergewaltigungen, Plünderungen, Mord und Lagerhaft werden im Detail durch eine über Seiten reichende Aneinanderreihung von Augenzeugenberichten und reichhaltige Bebilderung durch Fotos veranschaulicht, ohne dem Leser dabei etwas von den Grausamkeiten der Ereignisse zu ersparen. Die Darstellung dieser Ereignisse basiert auf Dokumenten im Bundesarchiv in Koblenz bzw. in Freiburg (zu denen der Verfasser offensichtlich teilweise erst durch die Intervention des damaligen Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen Heinrich Windelen Zugang erhielt) und auf Zeitzeugeninterviews, die der Verfasser Anfang der 90er Jahre selbst durchgeführt hat, u.a. mit Vertriebenen, die nach der Vertreibung in die USA auswanderten und dort eine neue Heimat fanden. In dieser alltagsgeschichtlichen Wendung der Arbeit liegt eine Stärke, aber zugleich auch eine der Schwächen des Buches.
So waren die Uebergriffe der Soldaten der Roten Armee gegenüber der deutschen Zivilbevölkerung, insbesondere die Vergewaltigung von Frauen ein in der west- und ostdeutschen Historiographie unterbelichtetes oder gar verschwiegenes Thema, das erst in den letzten Jahren durch jüngere Historikerinnen an die öffentlichkeit gebracht wurde (ähnlich wie die Verbrechen der deutschen Wehrmacht gegenüber der Zivilbevölkerung an der Ostfront). De Zayas vertut leider die Chance, diese zum Teil bewegenden und beindruckenden Dokumente bzw. Interviews mit Aussagen von z.B. tschechischer, polnischer oder russischer Seite zu kontrastieren, um so das Spannungsgeflecht aufzuzeigen, in dem sich die Vertreibung der Deutschen ereignete und zu erklären, dass sich damit durchaus auch historiographische Debatten verbergen, die schon bei der Wortwahl für die Ereignisse (Umsiedlung, Bevölkerungstransfer, Zwangsmigration, Vertreibung) anfangen und bis heute in den politischen Alltag ausstrahlen. Ausserdem kommt sowohl die Quellenkritik der zum Teil mit fast 50jährigem Abstand erhobenen Interviews als auch die Einordnung dieser individuellen Zeugnisse in überindividuelle Zusammenhänge sehr kurz.
Anerkennung verdient, dass der Autor auf die Unterschiede zwischen deutschen Staatsbürgern des ehemaligen Deutschen Reichs und den deutschen Minderheiten in Ostmitteleuropa bzw. Osteuropa eingeht, also jener Bevölkerung die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts erst als "Auslandsdeutsche" und sodann als "Volksdeutsche" in den Blick des nationalisierenden deutschen Nationalstaats geriet, auf den sie sich insbesondere seit dem Untergang der Donaumonarchie politisch und kulturell mehr und mehr ausrichtete. Insbesondere am Beispiel der Sudentendeutschen (S. 85-94) und der Banater Schwaben (S. 5-6, und S. 95-110) zeigt der Autor die besondere Problemlage dieser Minderheiten auf, die über Jahrhunderte zur ethnischen Pluralität Ostmittel- und Südosteuropas beigetragen und ihre deutlichen Spuren hinterlassen hatten. Wünschenswert wäre allerdings gewesen, aufzuzeigen, dass gerade die deutschen Minderheiten in den ehemals habsburgischen Landen eine durchaus unterschiedliche Behandlung im Verlauf der Vertreibungen der Nachkriegszeit erfuhren. Während sich Jugoslawien mit aller Rigidität und Brutalität seiner deutschen Minderheiten nahezu komplett entledigte, vertrieb Ungarn nur die nicht magyarisierten Deutschen, während Rumänie auf eine planmässige Vertreibung der Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben verzichtete, allerdings einen Teil der arbeitsfähigen deutschen Bevölkerung der Sowjetunion zu Zwangsarbeiten überliess, einen anderen Teil zu internen displaced persons machte. Hätte der Autor hier differenziert, wäre eine elegante Ueberleitung zum seit Ende der 70er Jahre aktuellen Thema der Zuwanderung von Aussiedlern (ethnic German immigrants) in die Bundesrepublik gelungen. Zwar spricht der Verfasser kurz die Tatsache an (S. 143-44), dass es seit 1950 eine Zuwanderung von über zwei Millionen Aussiedlern in die Bundesrepublik gegeben hat (S. 144; tatsächlich waren es bis einschliesslich 1993 sogar drei Millionen), die er als delayed expellees bezeichnet (eine Bezeichnung, über die sich streiten liesse), doch wird dem Leser nicht klar, wie es einem Teil der deutschen Minderheiten gelang, trotz Flucht und Vertreibung in ihren Siedlungsgebieten zu verbleiben, um hernach zu Aussiedlern zu werden.
De Zayas hat den Anspruch, mit seinen Publikationen eine Forschungslücke, insbesondere für den englischsprachigen Raum zu schliessen, die, so der Autor, durch Desinteresse oder gar bewusstes Verschweigen der Wahrheit bzw. politische Interessen entstanden sei (S. 33). Dieser Anspruch hält einer kritischen Prüfung kaum stand. Die wissenschaftlichen und ausserwissenschaftlichen Arbeiten zum Thema Flucht und Vertreibung sind mittlerweile Legion, füllen ganze Bibliotheken und dicke Bibliographien. Verwiesen sei z.B. auf die von Gertrud Krallert-Sattler herausgegebene fast 1000seitige kommentierte Bibliographie zum Flüchtlings- und Vertriebenenproblem.[5] Auch ist die wissenschaftliche Erforschung der Vertriebenenthematik in der alten Bundesrepublik bereits in den 50er Jahren mit staatlicher Unterstützung unter der ägidie solch renommierter Historiker und Soziologen wie Theodor Schieder, Werner Conze oder Hans Rothfels (Vertreibung) bzw. Eugen Lemberg (Integration) etabliert worden.[6] Die mehrbändigen Ergebnisse der von Schieder bearbeiteten Forschungen sind u.a. als Documents on the Expulsion of the Germans from Eastern-Central Europe ins Englische übersetzt worden. Das Forschungsinteresse hält bis in die Gegenwart an, wie jüngere Publikationen u.a. von Bade,[7] Benz,[8] Frantzioch,[9] Lehmann[10] oder Lüttinger[11] zeigen, die allerdings hinsichtlich der erfolgreichen Integration der Vertriebenen in die bundesdeutsche Gesellschaft ein detaillierteres, differenzierteres und skeptischeres Bild zeigen als de Zayas, der seinen Lesern die gerade von Lüttinger relativierte These der erfolgreichen Integration der ersten Generation von Vertriebenen anbietet.
Dass die beiden abgedruckten Interviews mit Kindern von Vertriebenen (S. 140-42) alles andere als repräsentativ für diese Generation sind, erwähnt de Zayas nicht. Der Drang der heutigen jungen Deutschen nach Osten und der Bezug zur verlorenen Heimat der Eltern oder Grosseltern ist in der Regel weitaus weniger ausgeprägt als die Interviews glauben machen wollen. Eine Identität sozusagen von Vertriebenen zweiter oder dritter Generation ist doch eher die Ausnahme als die Regel im heutigen Deutschland. Dieses Konstrukt ist aber wohl nötig, um die politischen Aussichten, die der Autor im Epilog seiner Arbeit skizziert, schlüssig erscheinen zu lassen. Er hält friedliche territoriale Veränderung zugunsten Deutschlands und auf Kosten Polens bzw. Russlands durchaus für möglich (und auch wünschenswert), sofern Polen bzw. Russland dafür ökonomisch kompensiert werden. Der Rezensent kann dazu die ironische Bemerkung nicht unterdrücken, dass zur Besiedlung der dann hinzu- bzw. wiedergewonnenen Territorien wohl eine zweite Zwangsmigration nötig wäre, um Teile der bundesdeutschen Bevölkerung dazu zu bewegen, die gewohnten sozialen und wirtschaftlichen Sicherheiten gegen eine neokoloniale Existenz in Pommern oder Ostpreussen einzutauschen. Schon die deutsch-deutsche Vereinigung des Jahres 1990 zeigte, dass das Migrationspotential sich in Ost-West-Richtung und nicht umgekehrt realisierte.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Buch zwar über die Betroffenenschilderungen landsmannschaftlicher Darstellungen hinausgeht, allerdings ist der Grundtenor des Buches ähnlich revisionistisch gestimmt wie bei Publikationen dieser Interessenvertreter. Es bringt seine Schwierigkeiten mit sich, wenn die Geschichte von Flucht und Vertreibung aus ihrem zeitgeschichtlichen Kontext, ihrer Vorgeschichte und ihrem Ursachengeflecht herausgelöst wird und dabei die Opferperspektive im Vordergrund steht. Dies mag einer legitimatorischen oder apologetischen ausserwissenschaftlichen Geschichtsschreibung zugestanden werden, ist aber gemessen am Standard der etablierten Profession nicht vertretbar.
Der Erfolg der Bücher von de Zayas in Deutschland bedarf allerdings der Erklärung. Er ist u.a. darauf zurückzuführen, dass der Autor ausspricht, was einem Teil der (west)deutschen öffentlichkeit in den Nachkriegsjahrzehnten zum (stillschweigenden) Grundkonsens wurde: nämlich, dass auch oder vielleicht sogar insbesondere die Deutschen zu Opfern des Nationalsozialismus geworden seien. Sei es als Flüchtlinge oder Vertriebene, sei es als Kriegsheimkehrer aus der deutschen Wehrmacht, sei es als Zivilist bombardierter und zerstörter Städte. Der Autor bedient damit ein Legitimationsbedürfnis nach einer anderen, teilnehmenden, identifikationsstiftenden und nicht rein analytischen Historiographie. Statt der Bereitschaft, den analytischen, gewiss auch kalt-sezierenden Blick der Sozialwissenschaften zu wagen, wird vom Leser Empathie eingefordert. De Zayas stellt sich damit in das Lager der Geschichtsrevisonisten, die 1986 den Anlass für den bundesdeutschen Historikerstreit lieferten. Die zentrale Bedeutung, die einer der Protagonisten dieses Streits, der verstorbene Andreas Hillgruber, den Soldaten/Opfern der Ostfront als identifikatorisches Moment für die Deutschen beimass, liegt auf der gleichen Linie wie de Zayas Darstellung. Es überrascht daher nicht, dass de Zayas 1987 in der zweiten Auflage der deutschen Version des rezensierten Buches anerkennende Worte für die revisionistischen Wortführer des Historikerstreits fand. Wenn diese Geschichtsschreibung aus der Perspektive der Opfer von der Mehrzahl der seriösen Historiker auch abgelehnt wird, so bleibt sie doch als soziales Phänomen erklärungsbedürftig. Hier treffen sich wiederum Goldhagen und de Zayas, so unterschiedlich ihr Thema, so diametral entgegengesetzt ihre Sicht auf deutsche Täter und Opfer auch sein mag. Beide nämlich operieren bewusst mit einer akzentuierten Täter-Opfer-Dichotomie, die das Leid der Opfer bzw. die Grausamkeit der Täter zum zentralen Moment der Narration erhebt. Mag dies auch eine ergreifende Form historischer Präsentation sein, so ist doch Skepsis angebracht, ob sie die Komplexität und Widersprüchlichekit historischer Entwicklungen und Erfahrungen zu erfassen vermag.
Endnoten:
[1]. Alfred-Maurice de Zayas, Anmerkungen zur Vertreibung der Deutschen aus dem Osten (Stuttgart: Kohlhammer, 1993).
[2]. Alfred-Maurice de Zayas, Nemesis at Potsdam: The Anglo-Americans and the Expulsion of the Germans. Background, Execution, Consequences (London: Routledge, 1977); German: _Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen. (München: Beck, 1977).
[3]. Frank Grube und Gerhard Richter, Eds., Flucht und Vertreibung: Deutschland zwischen 1944 und 1947 (Hamburg: Hoffmann und Campe, 1980).
[4]. Rogers Brubaker, National Minorities. Nationalizing States, and External Homelands in the New Europe, in Dädalus no. 124 (Spring 1995), pp. 107-32; jetzt auch in überarbeiteter und erweiterter Form als Bestandteil von Nationalism Reframed. Nationhood and the National Question in the New Europe (Cambridge/UK: Cambridge University Press, 1996).
[5]. Gertrud Krallert-Sattler, Kommentierte Bibliographie zum Flüchtlings- und Vertriebenenproblem in der Bundesrepublik Deutschland, in österreich und in der Schweiz (Wien: Braumüller, 1989).
[6]. Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, Ed., Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa bearbeitet von Theodor Schieder 5 vols. (Berlin: Bernard & Gräfe, 1953- 1961) und Eugen Lemberg et. al., Eds.,: Die Vertriebenen in Westdeutschland. Ihre Eingliederung und ihr Einfluss auf Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Geistesleben. 3 vols. (Kiel: Ferdinand Hirtl, 1959).
[7]. Klaus J. Bade, Ed., Neue Heimat im Westen: Vertriebene -Flüchtlinge - Aussiedler (Münster: Westfälischer Heimatbund, 1990).
[8]. Wolfgang Benz, Ed., Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten: Ursachen, Ereignisse, Folgen (Frankfurt: Fischer, 1995).
[9]. Marion Frantzioch, Die Vertriebenen: Hemmnisse, Antriebskräfte und Wege ihrer Integration in die Bundesrepublik Deutschland (Berlin: Reimer, 1987).
[10]. Albrecht Lehmann, Im Fremden ungewollt zuhaus: Flüchtlinge und Vertriebene in Westdeutschland 1945-1990 (München: Beck, 1991).
[11]. Paul Lüttinger, Integration der Vertriebenen: Eine empirische Analyse (Frankfurt: Campus, 1989).
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Citation:
Rainer Ohliger. Review of de Zayas, Alfred-Maurice, A Terrible Revenge: The Ethnic Cleansing of the East European Germans, 1944-1950.
HABSBURG, H-Net Reviews.
February, 1997.
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